Zurück zur Abhandlung "Johann Gottfried Schnabel"

Historisches aus der Gemeinde Sandersdorf

Bericht über das Leben des Dichters Joh. Gottfried Schnabel
und sein Hauptwerk

Die Insel Felsenburg

Wunderliche Fata einiger Seefahrer
Absonderlich Alberti Julii
von
G I S A N D E R N
(Johann Gottfried Schnabel)
Anno 1744

Im Auftrage der Ortsgruppe des Kulturbundes Sandersdorf
zusammengestellt von H. Bierfreund      –   Januar 1965   –
Quellenangabe

Register der evangelischen Kirche Sandersdorf

"Insel Felsenburg" – Museum Bitterfeld

Bitterfelder Stadtkalender 1956

Monatsblatt der Magdeburger Zeitung 1938

Das Deutsche Schriftstellerlexikon 1952

"Die Insel Felsenburg" von Ernst Schnackenberg 1929

Seite 2

Auf einer Gedenktafel am Pfarrhause der evangelischen Kirchengemeinde steht verzeichnet:

"Hier wurde am 7. November 1692 der Dichter der "Insel Felsenburg", Johann Gottfried Schnabel, geboren."

Seine Eltern waren der Pfarrer Johann Georg Schnabel und seine Ehefrau Hedwig Sophie Schnabel geb. Hammer in Sandersdorf. Seine Mutter starb am 17. Mai 1694, als der Knabe etwa 1 ½ Jahr alt war. Es hat sich eine Tragödie im Pfarrhause abgespielt, denn der Vater starb einen Monat später, nämlich am 17. Juni 1694. In den hiesigen Kirchenbüchern ist über die Todesursache nichts verzeichnet. Das deutet darauf hin, daß der Pfarrer beim Tode seiner Frau bereits schwer krank darniederlag. Nach der Angabe seines Todes ist im Kirchenbuche eine Seite freigeblieben. Vermutlich hat der Amtsnachfolger aufklärende Eintragungen vornehmen wollen, die aber unterblieben sind. Der Pfarrer war erst 26 Jahre alt, die Pfarrfrau ist noch einige Jahre jünger gewesen. Der Knabe wurde bei einem Vetter untergebracht; die folgenden 30 Jahre sind eigentlich unbelegbar. Die folgenden Daten sind einem Bericht entnommen, den Emil Obst sen. im Bitterfelder Stadtkalender 1956 (55?) veröffentlichte. "Er besuchte eine Lateinschule, erlernte das Barbiergewerbe und Chirurgie, studierte etwas Medizin, nahm 1710 – 1712 an dem spanischen Erbfolgekrieg in den Niederlanden teil, wohl als Feldscherer in Prinz Eugens Nähe und taucht 1724 plötzlich in dem Harzstädtchen Stolberg auf. Dort hatte er die Stelle eines Kammerdieners bei dem Erbgrafen inne. In den Stolberger Kirchenbüchern wird er "Balbier" und auch gräflicher Kammerdiener, in einer Gelegenheitsschrift "Chirurgus" genannt. Seit 1737 führt er den ihm vom Grafen verliehenen Titel "Hof–Agent". Er legte in Stolberg ein Bücherkommissionsgeschäft an und gründete eine Zeitung: Ohne Freude — und ganz ohne finanzielles Ergebnis; denn bezahlte Inserate waren ein unbekannter Begriff und die wenigen Abonnenten ließen sich nur allzuoft an die monatliche Beitragszahlung erinnern. So hat er — trotz größten Fleißes und äußerster Bedürfnislosigkeit — allzeit seines Lebens in Sorge und Not gelebt. Für uns ist er erst beachtenswert durch seine Schriftstellerei, die ihm zweifellos einen Ehrenplatz in der deutschen Literaturgeschichte gesichert hat. Sein berühmtes Werk ist

"Die Insel Felsenburg"
Wunderliche Fata einiger Seefahrer.

Es galt als das Lieblingsbuch der Deutschen und war seinerzeit die berühmteste Nachbildung von Defoes "Robinson Crusoe". Von etwa 1750 bis zu seinem Tode unbekannten Datums konnten Nachrichten über ihn nicht festgestellt werden."

Aus dem Montagsblatt der Magdeburger Zeitung 1938

EIN ROBINSON–DICHTER AUS STOLBERG AM HARZ

von Dr. Friedrich Dennert

Vor mehr als zweihundert Jahren erschien in Nordhausen bei der privilegierten Buchhandlung von "Johann Heinrich Groß" ein Roman mit dem etwas weitschweifigen Titel:

"Wunderliche Fata einiger Seefahrer", absonderlich Alberti Julii, eines

Seite 3

geborenen Sachsen, welcher in seinem 18ten Jahre zu schiffe gegangen, durch Schiffbruch an eine grausame Klippe geworfen worden usw. usw., dem Drucke übergeben von Gisandern, Nordhausen Anno 1731. Ihm folgte 1732 ein zweiter und 1736 ein dritter, 1743 endlich der vierte und letzte Band. Dieser Roman reihte sich ein in die Schar der Nachahmungen des 1719 erschienen Robinson–Crusoe von Daniel Defoe. Etwa zehn verschiedene solcher Nachahmungen waren bereits in dieser kurzen Zeit in Deutschland herausgekommen; sie wurden ähnlich wie der schon 1720 ins Deutsche übersetzte Urrobinson verschlungen und übten eine mehr oder minder große Wirkung auf die deutschen Leser aus. Keine aber hatte solches Aufsehen erregt wie Gisanders "Fata", bald bekannter unter dem Namen "Insel Felsenburg", auf der die wunderbaren Abenteuer Alberti Julii sich abspielten. Der vierbändige Roman erlebte viele Auflagen, noch die letzte im Jahre 1769, und wurde auch mehrfach von unberechtigten Druckern nachgedruckt. Noch 1823 verfertigte Karl Lappe eine Neubearbeitung für die Jugend, und die Dichter Achim von Arnim und Ludwig Tieck haben den Roman in neuer Dichtung verarbeitet. Hermann Hettner, der beste Kenner der Literatur des 18. Jahrhunderts, sagt von dem Buche: "Wir stehen nicht an, den Roman für eines der merkwürdigsten und wichtigsten Bücher des ganzen Zeitalters zu halten, sowohl wegen inneren Gehaltes wie durch seine überraschende Kraft und die Reinheit "seiner dichterischen Gestaltung". So las ihn denn auch alt und jung während der ganzen zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In manchen Autorbiographien jener Zeit wird die Insel Felsenburg als Jugendlektüre erwähnt, und auch von Goethe wissen wir, daß unter seinen Jugendbüchern "neben dem Robinson Crusoe die Insel Felsenburg nicht gefehlt habe". Wer war nun der Verfasser dieses berühmten Buches, der sich Gisander nannte? Lange Zeit war man über ihn völlig im Dunkeln, so gut hatte ihn das Pseudonym gedeckt. Außer vielleicht seinen Stolberger Mitbürgern wußte zu seinen Lebzeiten niemand etwas über ihn. Erst 1811 kam man auf den wirklichen Namen, ohne Näheres über sein Leben zu wissen. Hinter dem Decknamen Gisander (= Landmann) verbarg sich der "Gräfliche–Stolbergische Hofbalbier" Johann–Gottfried Schnabel in Stolberg am Harz. Schließlich haben Adolf Stern (1880) und insbesondere der verstorbene Studienrat Selmar Kleemann in Quedlinburg (1893) Licht in dieses Dunkel gebracht. Das war gewiß eine Lösung, die niemand erwartet hatte. Wir wollen uns deshalb diesen Mann etwas genauer ansehen. Dank Kleemans Forschungen können wir seinen Lebenslauf bis 1741 ziemlich genau verfolgen. Johann–Gottfried Schnabel ist geboren am 7. November 1692 in Sandersdorf bei Bitterfeld, wo sein Vater und schon sein mütterlicher Großvater Pastoren waren. Bereits als zweijähriger Knabe verlor er beide Eltern, wurde bei Verwandten erzogen und kam dann 1702 auf die Latina in Halle an das Waisenhaus, wo er Gymnasialunterricht erhielt. Da er mittellos war, konnte er nach deren Besuch nicht studieren, sondern erlernte das Barbierhandwerk und die Chirurgie, die damals oft miteinander verbunden waren. Vielleicht hat er an der Halleschen Universität sich einige weitere medizinische Kenntnisse erworben. Seine auf der Latina gelegten Grundlagen am Wissenschaften müssen gut gewesen sein, denn in seinen späteren Schriften finden sich genug Proben dafür auf geschichtlichem und geographischem Gebiet und in lateinischen Sprachkenntnissen. Allem Anschein nach war Schnabel dann mehrere Jahre Feldscher und trieb sich in der Welt herum; als solcher war er unter anderem zwei Jahre in der Armee des Prinzen Eugen bei dessen Kämpfen in den spanischen Niederlanden. Dann taucht er plötzlich in dem Harzer Städtchen Stolberg auf und leistet dort 1724 den Bürgereid als "hiesiger Hofbalbier". Hier hatte er sich also, nachdem er seine

Seite 4

Wanderzeit beendet und schon 1720 geheiratet hatte, niedergelassen. Er war gleichzeitig Kammerdiener des Erbgrafen Christoph–Ludwig, der ihn vielleicht von einer Reise mitgebracht hatte. In dieser untergeordneten Stellung blieb er, solange er in Stolberg lebte, und befand sich immer in gedrückten Verhältnissen. Seine gute Bildung, seine Kenntnisse des Lebens und der Menschen, seine weiten Reisen, die ihn durch ganz Deutschland bis nach Holland gebracht hatten, sowie endlich seine weitschweifende Phantasie setzten ihn in den Stand, einen großen Abenteuerroman zu schreiben, eben "Die Fata Alberta Julii oder die Insel Felsenburg". Den Anstoß dazu hatte ihm offenbar das damals herrschende Robinson–Fieber gegeben. Nach dem Erfolg seines ersten Werkes hatte er Geschmack an der Schriftstellerei gefunden, und wir sehen ihn bald sich an anderen Stoffen versuchen. Der Durchzug von 600 vertriebenen Salzburgern durch Stolberg im Jahre 1732 veranlaßte ihn, eine Flugschrift herauszugeben, die dieses Ereignis beschrieb, und als 1736 der von ihm hochverehrte Prinz Eugen starb, setzte er ihm mit einer Lebensbeschreibung ein Denkmal. Schon 1738 folgte ein neuer Roman, nachdem inzwischen von der Insel Felsenburg schon der zweite und dritte Band und vom ersten und zweiten schon neue Auflagen erschienen waren. Der neue Roman hieß:

"Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Cavalier", der gegenüber seinem ersten Werk als eine minderwertige Arbeit bezeichnet werden muß; schon der Titel sagt ja genug. Auf derselben niederen Linie bewegen sich dann seine weiteren, bis 1750 erschienenen mindestens vier Romane. Alle wurden sie unter dem Namen "Gisander" veröffentlicht. Aber dieser Fleiß brachte ihm nichts ein, zumal seine Romane mehrfach nachgedruckt wurden. Der rührige Mann hatte deshalb noch ein anderes Unternehmen gegründet, eine Zeitung, die er von 1731 bis Mitte 1741 in Stolberg herausgab. Sie hatte den einfachen Titel "Stolberg'sche Sammlung neuer und merkwürdiger Weltgeschichte". Es ist fast als ein Wunder zu bezeichnen, daß sich die Zeitung über 11 Jahre halten konnte. Denn Schnabel hatte das Unternehmen ganz auf seine eigenen Kosten begonnen und durchgehalten. Da ihn auch seine nicht sehr zahlreichen Abonnenten nicht unterstützten, was aus den häufigen Mahnungen des Herausgebers zur Zahlung der Gebühren hervorgeht, so konnte er mit seiner Zeitung auf keinen grünen Zweig kommen. Von dieser Stolberger Sammlung ist heute, wie es scheint, nur noch ein einziges Exemplar in der Bibliothek des Stolberger Schlosses erhalten, das von 1731 bis 1738 reicht; auf dem Roßlaer Schloß sind noch einige Nummern aus dem Jahre 1741 entdeckt worden. Es wird angebracht sein, über diese Zeitung und ihren Inhalt Näheres mitzuteilen. Gedruckt wurde sie bei dem Gräflichen Hofbuchdrucker Johann–Christoph Ehrhardt in Stolberg. Sie erschien unter der Protektion und dem Privilegium des Grafen, wenn auch ohne jede geldliche Unterstützung von ihm. Dafür aber wurde der Kammeradvokat und Kammerdiskal Placius zu ihrem Zensor bestellt, dessen Wirken man wohl insbesondere darin erblicken kann, daß sogenannte lokale Nachrichten nur sehr selten erschienen. Bis 1737 kam die Zeitung wöchentlich des Montags heraus, am Donnerstag erschien dazu noch eine lateinische Beilage mit dem Titel: "Res memorabiles Stolbergae conskriptae", die von 1733 an durch einen "Anhang" in deutscher Sprache ersetzt wurde. Von 1737 an gab Schnabel die "Stolberger Sammlung" zweimal wöchentlich heraus. Am Kopf trug das Blatt das Gräflich Stolbergische Wappen mit dem Hirsch. Es hatte regelmäßig vier Teile, nämlich Politische, Eclesiastische (kirchliche), Sonderbare und Gelehrte Geschichten. Bis 1736 brachte Schnabel in einer fünften Abteilung noch laufend die Getreidepreise von Stolberg, Nordhausen, Mühlhausen, Leipzig, Quedlinburg, Erfurt und anderen Orten. Die eigentlichen örtlichen Nachrichten dagegen waren

Seite 5

sehr spärlich; nur besondere Ereignisse wie Hochzeiten, Geburtstage, Reisen seiner gräflichen Herrschaft wurden gebührend mitgeteilt. Selten findet man Anzeigen über Verkäufe, Abhaltung von Märkten, Ankündigung von Postlinien und dergleichen, dafür aber laufend solche über neuerschienene Bücher. Schnabel bot sich selber als Bücher–Kommissionär an und suchte damit seine geringen Einnahmen aus der Zeitungsherausgabe zu verbessern. Zur Herstellung des Zeitungsinhaltes benutzte er mehrere auswärtige Zeitungen aus Hamburg, Berlin und Jena, deren Nachrichten er oft wörtlich nachdruckte. Es scheint, als ob er die ganze Redaktionstätigkeit allein geleistet hat, außer daß er hier und da Nachrichten und Bücherbesprechungen von einigen einheimischen und auswärtigen Korrespondenten erhielt. In der "politischen Abteilung" verfolgte Schnabel die großen und kleinen Ereignisse der Zeit. Allerlei Krieg und Kriegsgeschrei gab es damals in der Welt — der polnische Erbfolgekrieg erregte die Gemüter. Noch einmal kämpfte der jetzt alt gewordene Prinz Eugen, Schnabels angebeteter Held. In der "kirchlichen Abteilung" vertrat er den streng lutherischen Standpunkt des frommen Grafenhauses. Besondere Anteilnahme fanden die 660 vertriebenen Salzburger, die vom 2. bis 4. August 1732 auf der Wanderung nach Preußen in Stolberg rasteten. Viel Liebe wendete Schnabel der dritten Abteilung "von den gelehrten Dingen" zu, so daß er den Stolbergern und seinen anderen Lesern durch seine Berichterstattung ein fast lückenloses Bild der damaligen geistigen Bestrebungen bieten konnte, allerdings mit Ausnahme der sogenannten schönen Literatur, für die er trotz seiner eigenen Romanschreiberei wenig übrig hatte. Bei den Bücherbesprechungen scheint ihn besonders der Stolberger Pastor Zeitfuchs unterstützt zu haben. Uebrigens zeigte er in dieser Abteilung auch seine eigenen Bücher an, sowie die von anderen Stolbergern, die heute fast verschollen sind. Das waren u. a. die Bücher des Kammerrats Penta, von Zeitfuchs das Theologische Real– Lexikon, ferner das "nach heutiger Art" wohl eingerichtete und vollständige Briefbuch des Kammeradvokaten und Fiskals Placius, sowie schließlich die "Bußpredigt" des Diakonus Ulitsch und des Superintendenten Winkler "Probe– und Antrittspredigt". Aber auch sonstige wissenschaftliche Nachrichten, insbesondere von Universitäten und gelehrten Anstalten, bringt dieser Teil. Manche Gelegenheitsdichtung findet hier ihren Platz, Distichen, Chronostichen, die Schnabel sehr liebte, und von denen die meisten wohl von ihm selber verfertigt sind. Der letzte Teil der Sammlung, die "Sonderbaren Sachen" ist der heute "Vermischtes" genannte Teil. Er enthält deshalb auch Nachrichten von Mord und Totschlag, Raub und Händeln jeder Art, Unglücksfällen aus aller Welt; über Erfindungen und technische Fragen wird ausführlich berichtet. So haben wir in großen Zügen ein Bild von dieser Stolberger Zeitung gegeben.

Wenn man bedenkt, daß der Herausgeber keine gelehrte Fachbildung besaß und in Stolberg ziemlich abgeschnitten von aller Welt war, daß er ohne jede Unterstützung, nur mit seinen eigenen unzulänglichen Mitteln und mit dem Geringen, was ihm die Zeitung eintrug, diese über elf Jahre halten und auf eine beachtliche Höhe bringen konnte, so muß man ihm wohl Anerkennung zollen für seinen Wagemut, seinen Fleiß und seine opferwillige Arbeit. Er verdient es nicht nur wegen seines lange Zeit berühmten deutschen Robinsons auf der Insel Felsenburg, sondern auch als Herausgeber seiner frühen Stolberger Zeitung, der Vergessenheit entrissen zu werden.

Über Schnabels weitere Schicksale ist nur noch wenig zu berichten. Ihm wurden in Stolberg vier Kinder geboren. Im Jahre 1724 wird er Chirurgus genannt, 1737 bezeichnet er sich als "Hofagent". Nach 1750 ist er aus Stolberg verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Man weiß nicht, wohin er sich gewendet hat und wo er gestorben ist."

Seite 6

Dieser Bericht über "Die Insel Felsenburg" bezieht sich auf die Originalausgabe von 1744. 1929 — also fast 200 Jahre später — hat Ernst Schnackenberg eine Neuauflage im Verlage Neyer und Elsner, Altona, herausgegeben. In der Einleitung sagt er: "Grimmelshausens "Simplicissimus" führt in das bewegte Leben, in die Stürme eines vom Krieg durchlebten Landes. Johann Gottfried Schnabels "Insel Felsenburg" dagegen in die Weltabgeschiedenheit einer Insel im südlichen Teil des Atlantischen Ozeans. Der Roman bildet den dichterischen Niederschlag des Sehnens des deutschen Volkes nach dem neuen Staat, der allen Schrecken und Nöten ein Ende bereiten wird.

Der Held des ersteren Romans sieht keinen anderen Weg zum Heil, als den der völligen Weltflucht, der Lebensverneinung. Die Bewohner der Insel Felsenburg dagegen wollen die irdische Glückseligkeit, wollen nichts missen von den Kulturgütern, die das Leben freudvoll gestalten, wollen den Idealstaat bauen. — Somit steht Schnabels Roman weit höher als der "Robinson Crusoe" des Engländers Daniel Defoe, der kurz vor der Insel Felsenburg erschien. Robinson denkt nicht daran, auf der menschenleeren Insel sein Leben zu beschließen, sondern besteht mutig den Kampf mit dem Schicksal, um darauf heimzukehren in die alte Welt. Die Felsenburger fliehen ihr wüstes Heimatland, um auf der felsigen Insel ein Land Utopia zu begründen in ehrbarem und gottgefälligem Leben.

Der "Simplicissimus" ragt, ein Werk der Weltliteratur, auf einsamer Bergeshöhe, unerreicht in der Großartigkeit seiner Gestaltung . . .

Der junge Goethe las begeistert die "Insel Felsenburg". Der Däne Oehlenschläger, der deutsche Romantiker Ludwig Tieck brachten 100 Jahre nach seinem Erscheinen Neubearbeitungen des Romans, der seinerzeit wohl in Deutschland das beliebteste Buch des 18. Jahrhunderts gewesen sein mag und dem englischen Robinson in Berühmtheit nicht sonderlich nachstand.

Das ist der Grundton des Romans Johann Gottfried Schnabels: Hinaus in die Welt! Suchen nach einer Stätte, da die Menschheit ein neues Geschlecht erzeuge! Darüber hinaus aber ist das Werk uns Lebenden ein sprudelnder Quell deutscher Sittengeschichte damaliger Zeit. Alle menschlichen Gefühle, Leidenschaften, Tugenden und Laster treten uns lebendiganschaulich vor Augen."

Das "Deutsche Schriftstellerlexikon" 1962, Volksverlag Weimar, schreibt: "Schnabel, Johann Gottfried, geb. 7. 11. 1692 in Sandersdorf bei Bitterfeld, gestorben nach 1750. Romanschriftsteller der frühen Aufklärung. Aus dem elterlichen Pfarrhaus geflohen (Irrtum) erlernte Schnabel das Barbier– und Chirurgenhandwerk; trat als Feldscher in den Dienst des Prinzen Eugen in Holland und machte später größere Reisen mit dem Grafen zu Stolberg. Ab 1724 war er Chirurg und Beamter an dessen Hof und gab von 1731 bis etwa 1738 die Zeitung "Stolbergische Sammlung neuer und merkwürdiger Weltgeschichte" heraus. Ab 1741 fehlen über ihn genauere Nachrichten. Schnabel schrieb unter dem Namen Gisander seinen Roman "Insel Felsenburg" (Wunderliche Fata einiger Seefahrer), 1731 – 1743, 4 Bände (neu herausgegeben v. L. Tieck, 1827, 6 Bände: Neudruck von H. Ulrich, 1902 in "Deutsche Literaturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts, — begründet von B. Seyffert — fortgeführt von A. Sauer und anderer) und von M. Grüner, 1959, die berühmteste deutsche Robinsonade, die dem englischen Vorbild (Defoes Robinson) an Bedeutung und künstlerischer Geschlossenheit nahekommt. In dieser Gesellschaftsutopie handelt es sich um ein frühbürgerlich–realistisches Werk. Schnabel kritisiert in Lebensläufen deutscher Menschen — die als einzelne Novellen in den Roman eingefügt sind — die Zustände der zu Ende gehenden feudalistischen Gesellschaftsordnung (unter anderem Söldnerwesen, Hofintrige,

Seite 7

Ehebruch, Kuppelei, Goldmacherei). Der alten, verrotteten Gesellschaft stellt er das Wunschbild eines bürgerlichen Gemeinwesens gegenüber, das auf vernünftigen, natürlichen menschlichen Beziehungen und einer tätigen Frömmigkeit im Sinne des Pietismus beruht. Weitere Werke:
"Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier" 1738 (neu herausgegeben von P. Ernst 1907). Ferner: "Der aus dem Mond gefallene und nachher zur Sonne des Glücks gestiegene Prinz" 1750.

"Die Insel Felsenburg"

von Gisandern

(Johann Gottfried Schnabel)

Titelblatt:

"Wunderliche Fata einiger Seefahrer, absonderlich
Alberti Julii, eines gebohrenen Sachsens,

welcher in seinem 18. Jahre zu Schiffe gegangen, durch Schiffbruch selb 4te an eine grausame Klippe geworfen wurde, nach deren Übersteigung das schönste Land entdeckte, sich daselbst mit seiner Gefährtin verheyratet, aus solcher Ehe eine Familie aus mehr als 300 Seelen erzeuget, das Land vortrefflich angebaut, durch besonderen Zufall erstaunenswürdige Schätze gesammelt, seine in Teutschland ausgekundschaften Freunde glücklich gemacht, am Ende des 1728ten Jahres, als in seinem Hundertsten Jahre, annoch frisch und gesund gelebt, und vermutlich noch zu dato lebt, entworfen von dessen Bruders–Sohne–Sohnes–Sohne"
Mons. Eberhard Julio; —

Curiensen Lesern aber zum vermutlichen
Gemüths–Vergnügen angefertigt, auch per
Commission dem Druck übergeben

von
Gisandern.

Nordhausen: Bei Joh. Heinrich — Groß, privilegierten Buchhändlern.
Anno 1744.

Im l. Teil, l. Buch "Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit"
schreibt Goethe:

"Man hatte zu der Zeit noch keine Bibliotheken für Kinder. Die Alten hatten selbst noch kindliche Gesinnungen und fanden es bequem, ihre eigene Bildung der Nachkommenschaft mitzuteilen. Außer dem "Orbis Pictus" des Amos Comenius kam uns kein Buch dieser Art in die Hände." Er erwähnt die große "Folio–Bibel", die "Akcerra philologica", die "Ovidschen Verwandlungen" und andere. Dann sagt er: "Daß "Robinson Crusoe" sich zeitig angeschlossen, liegt wohl in der Natur der Sache, daß die "Insel Felsenburg" nicht gefehlt hat, läßt sich denken!" — Somit könnte man das Buch, da es mit dem "Robinson Crusoe" in einem Atemzuge genannt wird, für ein Jugendbuch halten. Schilderungen von Liebesaffären deuten aber darauf hin, daß es nicht als ein "ausgesprochenes Jugendbuch" geschrieben wurde. Im Bitterfelder Kreismuseum sind 3 dickleibige Bände der l. Ausgabe der "Insel Felsenburg" inventarisiert, von denen der Autor den 3. als den letzten bezeichnet. Spätere Ausgaben sollen 2– bis 7bändig erschienen sein.

Seite 8

Vorrede (Auszug)

Geneigter Leser!

"Es wird dir in folgenden Blättern eine Geschichtsbeschreibung vorgelegt, die, wo du anders kein geschworener Feind von dergleichen Sachen bist, oder dein Gehirn bei Erblickung des Titul–Blates nicht schon mit widerwärtigen "Präjudicis" angefüllet hast, ohnfehlbar zuweilen etwas — obgleich nicht alles — zu so besonderer Gemüths–Ergötzung überlassen, und also die geringe Mühe, so du dir mit Lesen und Durchblättern gemacht, gewissermaßen rekompensieren kann" u.s.f.

"Gedenket man an die fast unzählige Zahl derer Robinsons von fast allen Nationen, welche meistenteils die Beywörter "wahrhaftig, erstaunlich, erschrecklich, noch niemals entdeckt, unvergleichlich, bewundernswürdig, seltsam" und dergleichen führen, so möchte man nicht selten Herr Ulrichen, als den Vertreiber solcher Sachen, rufen — und zermahlen.

Also, geneigter Leser, glaube nicht, daß diese gegenwärtige Geschichte nichts andres als lauter Fiktionen wären; nein, das ist meine Meinung durchaus nicht. Jedoch soll mich auch niemand dazu zwingen, einen Eid auf die pur lautere Wahrheit abzulegen. Ich will dir darlegen, wie diese Fata verschiedener Seefahrenden mir in die Hände gelangt sind:

"Auf einer Reise in der Postkutsche treffe ich einen vornehmen Mann, mit dem sich vortrefflich reden ließ. Abends aber, nach dem Speisen, setzte er sich allein an einen Tisch, packte geschriebene Sachen aus einem Paquet, daß er nie von Abhänden kommen ließ. Sein Beutel war vortrefflich gespickt und von seiner Generositee habe ich ungemein profitieret, da mein Zustand eine genaue Wirtschaft erforderte. Er wußte, da ich ein Feind des Schmarotzens war, sehr artig seine Großzügigkeit anzubringen. Dannenhero geriet ich auf die Gedanken, dieser Mensch müsse entweder ein starker Kapitaliste oder gar ein Adeptus sein, indem er soviele güldene Spezies bei sich führte, auch seine besondere Liebe zur Alchymie öffters in Gesprächen verrieth. —

Als der Postillion bläst, will er als erster aufsteigen, stürzt unglücklich, die Pferde gehen durch, 2 Räder gehen ihm über den Leib; er wird halbtot ins Gastzimmer getragen . . ."

Der Erzähler läßt die Post fahren und bleibt bei dem mit großen Schmerzen darniederliegenden Patienten. Als dieser etwas zum Bewußtsein gekommen, läßt er ein "Schriften–Paquet" kommen und übergibt es mir. "Vielleicht haben Sie damit ein Glück, das ich nicht erleben sollte" — und stirbt.

Der Erzähler glaubt, nunmehr Besitzer der geheimnisvollsten Alchimisten– Zauberschriften zu sein, findet aber nur die Geschichte des

Mons. Eberhard Julius,

sieht sich in seiner Hoffnung, durch Zauberei ein reicher Mann zu sein, betrogen. Da kommt er auf den Gedanken, die Absicht des Verstorbenen, diese Geschichte zu veröffentlichen, selbst auszuführen. Aus den Schriften ging hervor, daß der Verstorbene bereits mit einem Hamburger Verleger verhandelt hatte und auf der Reise zu ihm gewesen war. So reist unser Erzähler nach Hamburg und trifft dort auch den Verleger, der ihm die Wahrheit der Erlebnisse versichert.

So stand also einer Veröffentlichung, der im Schriften–Paquet erzählten Erlebnisse nichts im Wege und unser Erzähler schreibt:

"So bringe ich Dir, lieber Leser, diese Geschichte als meine l. Arbeit in meiner "Herz–allerliebsten Deutschen Muttersprache" zur Kenntnis. —

Seite 9

Er nennt sich hier ein "Recroute unter den Regimentern der Herren Geschichts–Beschreiber." "Sofern der Himmel mir Leben und Gesundheit nicht abkürzet, soll noch in diesem Sommer die Geschichte im Druck erscheinen.

Geneigter Leser, Dein dienstwilliger

Gisander.

Bemerkung: Gisander war der Dichtername des Joh. Gottfried Schnabel, er mußte im Verborgenen bleiben, da er wegen Beleidigung eines sächsischen Barons, dem er Ausbeutung und Unterdrückung seiner Untertanen vorgeworfen hatte, verfolgt wurde.

Hauptteil

Eigenartig ist die Einleitung: "Ob den Kindern, die in der Zeit geboren wurden, da Sonnen– und Mondfinsternisse sich am Firmamente präsentierten, besondere Fatalitäten zu prognostieren seien, will ich den Natur– Kündigern überlassen. Ich — Eberhard Julius — hatte als Sohn eines wohlbemittelten Kauffmanns, den 12. Mai 1706 eben in der Zeit das Licht der Welt erblickt, als die große Sonnenfinsternis ihren höchsten und fürchterlichsten Grad erreicht hatte." —

Wir erfahren weiter im Bericht: Gut erzogen, zum Studieren bestimmt, geht er mit 17 Jahren nebst seinem Anführer auf die Universität Kiel. Er studiert dort Jurisprudenz. Da stirbt die Mutter. Ihr Lieblingswunsch, ihren Sohn als "Berühmten Rechtsgelehrten" zu sehen, ist ihr nicht erfüllt worden. Auf Wunsch des Vaters besucht er dann die Universität "des galanten" Leipzig. (Es ist nicht ersichtlich, ob das Wort "Galant" den heutigen Sinn hatte). So zieht er 1725 mit 300 Dukaten bar und 1000 Thaler Wechselbrief in Leipzig ein. Er war immer schon weit über seine Jahre hinaus ein stiller, sehr ernst veranlagter Mensch, der kaum in den Kreis fröhlicher "Kommilitonen" hineinpaßte. Seit dem Tode der geliebten Mutter war er noch schwermütiger geworden. Durch den Rat seines Freundes, eines jungen Mediziners, auf Blutabzapfung und Pillenschlucken, gelingt es, ihn in kurzer Zeit von kaum 3 Wochen frohgemut, ja lustig zu machen. Da erreicht ihn eine Schreckensnachricht, die ihm sein Vater übermittelt. Das dem Vater gehörige Ost–Indische Schiff, das einen großen Teil seines Vermögens ausmachte, ist, als es mit Waren und Schätzen reich beladen auf der Heimfahrt begriffen war, von Seeräubern überfallen und geraubt worden. Zudem hat sein Kompagnon "mit 2 Tonnen Gold Bankrott" gemacht" — "und letzlich zu meinem völligen Ruin hat mich das Fallen der Aktien allein um 50 000 Taler gebracht". — Hier ist es interessant zu erfahren, wie dieser junge, etwa 19jährige Mensch aus tief religiös–sittlichem Empfinden heraus auf diese Schreckensnachricht reagiert. Er betet: "Mein Gott, ich verlange ja eben nicht, reich an zeitlichen Gütern zu sein; ich gräme mich auch nicht mehr um die Verlorenen. Setze mich — wo es Dir gefällig ist — nur in einen solchen Stand, worin ich Deine Ehre befördere, meinen Nächsten nützen, mein Gewissen rein erhalten, reputierlich leben und selig sterben kann." Der Vater war aber nicht gänzlich verarmt. Er hinterließ seinen Kindern je eine Summe von 2000 Thalern, daß sie sich ihr Leben noch gut einrichten konnten; er selbst schiffte sich nach Ostindien ein.

Nun will unser Eberhard Julius umsatteln und in Wittenberg Theologie studieren. Da er erkrankt, unterblieb der Studienwechsel. Nach Wochen erhält er einen Brief von Kapitän Leonhard Wolfgang in Amsterdam, mit einem Wechsel von 150 Dukaten, der ihn auffordert, baldigst nach

Seite 10

Amsterdam zum Kapitän zu kommen und von seinem großen Glück zu erfahren. Er tut es; nach beschwerlicher Reise und tagelangem, mühseligem Forschen und Suchen findet er den Kapitän. Von einem Seemann hatte er erfahren: Der Kapitän Leonhard Wolfgang ist auf einer Seereise von der meuternden Mannschaft an Händen und Füßen gebunden und auf einsamer Insel ausgesetzt worden, nach einigen Wochen aber gerettet und gesund heimgekehrt. Er war vorher ein armer Teufel, ist aber heute sehr reich. Woher er den Reichtum hat, ist unbekannt. Er fuhr bis jetzt den "Holländischen Löwen", rüstet aber jetzt den "Getreuen Paris" zu einer Fahrt nach Ostindien aus.

Der Kapitän übergibt ihm einen 2fach versiegelten Brief mit der Aufschrift:

"Dieser im Namen der heiligen Dreyfaltigkeit versiegelte Brief soll von niemand anders gebrochen werden, als von einem, der den Geschlechts–Namen Julius führt, von dem anno 1633 unschuldig enthaupteten Stephano Julius nachweißlich abstammet und aus keuschem Ehebette gezeugt worden."

"Im Namen der Dreyfaltigkeit" öffnet er. Er liest:

"Mein Enkel!"

"Die Ihr meinen Namen führet, macht Euch auf zu mir; ich bin ein glückseliger Mensch, habe an baarem Golde und Jubelen einen großen Schatz und Liebe und Achtung meiner Untertanen. Ich bin aber erst ganz froh, wenn ich einen meiner Enkel umarmen und ihm Schätze übergeben kann, die mir hier unnütz sind. Sie sind so groß, daß auch ein König seinen Staatsetat damit bestreiten könnte. Kommt mit dem Kapitän, der mir geschworen hat, alles nach meinem Wunsch zu tun."

Datum: Felsenburg, 29. Sept. Anno Christi 1724.

Meiner Regierung im 78. und meines Alters im 97. Jahre.

Albertus Julius.

Mein Erstaunen war groß, ich legte Dokumente vor, die den Nachweis gradliniger Abstammung von Stephane Julio, der meines Großvaters Großvater, leiblicher Bruder des Alberto Julio gewesen.

Nun erzählte der Kapitän mehr als 2 Stunden lang die wunderbarsten Begebenheiten und Erlebnisse meines Ahnen, dem ich mit immer wachsendem Erstaunen lauschte.

Wir vereinbaren, gemeinsam hinzufahren und setzten die Abfahrt für den 27. Juni fest. Wir nahmen 200 deutsche und 100 englische Bibeln, 400 Gesang– und Gebetbücher und viele andere zeitliche und weltliche nützliche Bücher mit, zudem viel Hausrat: für etliche 1000 Thaler Hausgeschirr und Instrumente, etliche Ballen weiß Papier, Tintenpulver, Federn, Bleistifte und mancherlei Kleinigkeiten. Der Kapitän schreibt alles auf, was in den Tagen bis zur Abfahrt zu tun ist, so daß ich sehr beschäftigt war. Am 24. Juni traf beim Kapitän Besuch ein, ein Fremder im Priester–Habit. Wie groß war mein Erstaunen und meine Freude, als ich in ihm einen Bekannten, nämlich meinen Informator in meinem 14. bis 17. Jahr erkannte. Der Kapitän hatte ihn gefördert, ihn studieren lassen und schließlich dafür gesorgt, daß er die Priesterweihe erhielt. Jetzt hatte er ihn herangeholt, daß er Seelsorger auf der Insel Felsenburg werde.

Seite 11
21. Juni

Im Vertrauen auf des Allerhöchsten Beistand rüsten sie sich zur Abfahrt und verlassen am 27. Juni die "Weltberühmte Stadt Amsterdam". Am 30. Juni landen sie auf Texö, verbleiben dort 14 Tage und mit gutem Segel geht's weiter. Der nun ausbrechende Sturm macht sie alle seekrank — nicht aber den Kapitän. Ihn, unseren Eberhard Julius, wirft es auf lange Dauer darnieder.

In einer Gesprächsrunde, zu welcher der Kapitän, der Schiffsleutnant, ein junger Chirurg von 28 Jahren, ein Mathematikus, ein Posamentierer (Bordenwürker), ein Uhrmacher, der Priester und Eberhard Julio gehörten, wird der Kapitän aufgefordert, seine "Aventuren" zu erzählen. Er erzählt, daß er aus nicht reicher, aber kinderreicher Familie in einer Mittelstadt Brandenburgs stammt. Da er ein aufgeweckter, sehr kluger Junge war, bestimmte der Vater, daß er die Lateinschule besuchen und in Frankfurt Oder Medizin studieren solle; denn am Orte gab es nur 2 alte Medizi, deutlicher gesagt: "Lieferanten des Todes." Bei dem einen soll er substituieren, weil dieser nur eine einzige Tochter hatte, welche die allerschönste unter den häßlichsten Jungfern war, der die letzten Zähne allererst schon vor 12 bis 16 Jahren gewachsen waren." Der im Orte sehr einflußreiche zukünftige Schwiegervater erwirkt bei der Stadtverwaltung für den zukünftigen Schwiegersohn (Vereinbarung der beiderseitigen Eltern ohne Wissen und Zutun der betreffenden Kinder) ein Stipendium von 60 Thalern. Nun fühlt sich unser Studio reich, gibt für 16 Personen einen Schmauß, lernte in Frankfurt recht pursikos leben, das ist: fressen, saufen, speyen, schreyen, wetzen und dergleichen."

Aber, aber! Eines Nachts wankte er ziemlich "besoffen" nach Hause, kühlt seinen Uebermut mit dem Degen an unschuldigen Blumen und Steinen. Da tritt ihm ein "Eisenfresser" entgegen. "Bärenhäuter, steh!" Er, durch Wein erhitzt und übermütig, setzt sich zur Wehr. Ein fataler Stoß! Der Gegner stürzt. "Bärenhäuter, du hast dich tapfer gehalten; aber mich kostets das Leben" und stirbt. Mit einem Schlage nüchtern, versteckt sich Leonhard bei Freunden; es kommt heraus: er flieht über die Grenze ins Schwedische–Pommern und studiert an der Königlich Schwedischen Universität in Greyfsvalda. Das Gewissen quält ihn sehr, zudem trifft die Nachricht ein, daß der Vater einem Herzschlag erlegen ist, als er von der Blutschuld des Sohnes hört. Sein Erbteil wurde vom Gericht konfisziert. Seine Geschwister schicken ihm jedes 10 Thaler und schreiben ihm: "Geh bis ans Ende der Welt, damit wir nicht eines Tages die betrübtere Zeitung erfahren, daß man Dir den Kopf abgeschlagen hat." Er will zu Schiff. Ein Handelsherr bietet ihm eine Stellung mit 100 Thaler beständigem Lohn. Beständig auch Unterstützung daheim und auf Reisen und dann und wann ein "extra ordinaires, ansehnliches Accident."

Nach 2 Jahren Fahrt nach Ostindien auf dem Schiff: "Der Holländische Löwe" mit 600 Holländischen Gulden. Auf dem "Cap de bonre Esperence" erlebt er fast sagenhafte Liebesabenteuer mit einer ehemaligen Prinzessin von der Insel Java. Der Adjutant des holländischen Gouverneurs hatte sich in die damals 12jährige Java–Schönheit verliebt; er hat sie mitgenommen in sein Standquartier auf dem Kap der guten Hoffnung und hält sie dort in einem wunderschönen und herrlich gelegenen Landhäuschen aus. Er ist trotz seiner 60 Jahre immer noch sehr in die nunmehr 16 jährige heißblütige Schöne verliebt. Sie fragt den fremden Eindringling (er war auf einem Spaziergang durch Weinberge und Gärten in das Häuschen eingedrungen) wie es käme, daß sie ganz gegen ihren Willen so unglaublich in ihn verliebt sei? Dabei erhebt sie die Hand zum Schwure und sagt: "Ich "schwere" bei dem heiligen Glauben der Christen und

Seite 12

Tommi, daß ich noch nie solch süße Liebe empfunden habe." Auf seine Frage, was Tommi bedeute, sagt sie "Das ist eine Sekte, wozu sich vornehme Javaner bekennen, die sich dadurch hoher und heiliger erachten, als die anderen Mohammedaner."

Daß er mit einer Heidin courtoisierte, machte ihm Bedenken. Er getröstet sich aber, als er erfahrt, daß sie Christin werden will. Die Schilderung dieses Liebesverhältnisses läßt vermuten, daß dieses Buch nicht als Jugendbuch geschrieben wurde.

Aufs Schiff zurückgekehrt, wird er des Diebstahls verdächtigt und verhaftet. Bald klärt sich die Sache zu seinen Gunsten auf. Weiterfahrt. In Batavia wird bei einem Streite der Schiffs–Sergeant erstochen und Leonhard erhält seine Stelle. Er verdient nun gut, ist sehr sparsam und erwirbt sich in 3jährigem Dienste ein ansehnliches Kapital. Auf der Rückreise wird das Schiff von Seeräubern überfallen. Aber die Seeräuber werden besiegt, ihr Schiff wird in Besitz genommen und die Seeräuber werden Sklaven. Da der Leutnant im Kampf gefallen ist, wird Leonhard Wolfgang Schiffsleutnant. Bei der Weiterfahrt erhebt sich ein ungeheurer Sturm. Sie landen auf Teneriffa.

Sie haben nun 2 Schiffe und im Seeräuberschiff reiche Schätze gewonnen. Da entschließt sich der Kapitän, seine Schiffe zu Freibeutern zu machen. Da Holland mit Frankreich und Spanien im Kriege lag, erhält der Kapitän die Erlaubnis, als Freibeuter gegen alle Feinde des Landes zu kämpfen. Unserem Leonhard Wolfgang wird die Wahl: Entweder als l. Leutnant mitzufahren oder auf ein Kriegsschiff zu gehen. Er erzählt: Ich versicherte dem Kapitän, daß ich mit ihm ins Glück oder ins Unglück fahren wolle, ich will mit ihm leben — und mit ihm sterben!"

Sie überfallen eine französische Fregatte, machen große Beute; diese Fregatte führt nunmehr der bisherige Oberleutnant Leonhard Wolfgang. Auf Madeira nehmen sie Trinkwasser, finden ein von den Spaniern übel zugerichtetes Freibeuterschiff, reparieren es und nehmen es mit. Auf den Bermudainseln überfallen sie ein spanisches Jagdschiff. Währenddessen versammelt sich die spanische Silberflotte zur Abfahrt nach Europa auf der Insel Kuba.

Er vereinigt sich mit 2 holländischen und l englischem Schiff. Sie kapern ein 6. Schiff und haben nun 46 Kanonen, 482 wehrhafte Leute und machen Jagd auf einzelne spanische Schiffe der Silberflotte. Es gelingt ihnen, ungeheure Beute zu machen, sie landen auf Bonatry. Dort versteckt der nunmehrige Premierleutnant und Führer eines Schiffes seine erbeuteten Schätze und ersparten Kapitalien. Sie haben noch manche abgetriebenen Silberschiffe erobert. Aber die Mannschaft verlangt stürmisch nach Frauen. Auf den einzelnen Inseln waren viele ledige spanische und französische Mädchen; die Flotte landet und die Matrosen heiraten. Bei einem Anschlag auf Spaniola erhaschen sie 30 junge Weiber. Dann macht die Spanische Silberflotte Jagd auf die Freibeuter. Wolfgang wird schwer verwundet und gefangengenommen. Er hat Glück, denn er wird nicht gleich aufgehängt und entgeht so dem verdienten Schicksal. Er lebt, aber sein Schicksal ist "schrecklich". Er muß bei den Spaniern 3 Jahre Sklavendienste verrichten und ist dann 2 Jahre beim Gouverneur Pferdeknecht.

Da ihn "Apollo, Mars und Neptun" verlassen haben und ihn in große Not geraten ließen, wendet er sich an die Venus. Es war ihm aufgefallen, daß die 18jährige bildschöne Tochter des Gouverneurs ihn oft recht sehnsüchtig verliebt anschaut. Das will er sich zunutze machen. Sie soll einen häßlichen, einäugigen adligen Mann heiraten. Selbst die Mutter ist

Seite 13

darüber betrübt, kann sich aber dem hartnäckigen Mann gegenüber nicht durchsetzen. Die Tochter ist tiefunglücklich und wendet ihre Liebe insgeheim dem Pferdeknecht zu, von dem sie mit Bestimmtheit annimmt, daß er vornehmen Standes und hochgebildet ist. Zudem ist er ein schöner Jüngling von sehr feiner Lebensart. Nachdem sie ihm ihre Liebe gestanden und er ihr die Ehe versprach, verabredeten sie, gemeinsam zu flüchten. Beide, Donna Salome und Leonhard Wolfgang, flüchten auf Pferden zum anderen Ufer und besteigen dort ein französisches Schiff, das sie nach der Insel "Bon air" bringt. Sie hatte ihren Brautschatz, bestehend aus 12 000 Dukaten und viel kostbarem Schmuck, nicht vergessen. Sie werden von den dortigen Freunden und Bekannten herzlich aufgenommen. Der Gouverneur stellt ihnen ein schönes Häuschen zur Verfügung und nach etlichen Tagen findet die Hochzeit der in herzlicher Liebe Verbundenen statt. Nun erst sucht er nach seinen hier verborgenen Schätzen, die er auch glücklich findet. Nach 4 Monaten trifft er auch seinen ehemaligen Kapitän. Er wird zum Vizegouverneur ernannt und sie verbringen ein glückliches Jahr. Da stirbt bei der Geburt eines toten Kindes seine Frau. In seinem Schmerz faßt er den Entschluß, nach Europa zurückzukehren.

Die Heimfahrt

Der Gouverneur rüstet ihm ein wohlbemanntes Schiff aus und er kehrt nach Amsterdam zurück. Dort übergibt er das Schiff dem Compagnon seines Kapitäns. Er fährt nach Lübeck und Danzig und trifft dort seinen jüngsten Bruder und seinen ehemaligen Informator (Hauslehrer). Mit Hilfe seines Geldes gelingt es ihm, einen Pardonbrief wegen des Totschlages an dem Studenten in Frankfurt/Oder zu erhalten.

Wunderliche Abenteuer auf der Reise nach Westindien

Nach Jahresfrist packt ihn die Sehnsucht nach fernen Ländern. Er will als Kapitän eines Freibeuterschiffes nach Westindien. Es gelingt ihm, Leute als Seefahrer zu werben; aber es sind lauter Diebe, Schelme, also "allerliederlichstes Gesindel". Unterwegs bricht eine Rebellion aus. Er wird gefesselt und schließlich auf einsamer Insel ausgesetzt. Nur 3 Tage reicht sein Proviant; dann macht er sich nach weiteren 2 Hungertagen in Todesängsten zum Sterben bereit. Halb bewußtlos wird er von 6 deutschen Männern gefunden. 0 Seligkeit, er ist gerettet. Sie bringen ihn auf eine von ihnen besiedelte, sehr fruchtbare Insel. Sie ist durch Fleiß und Tatkraft deutscher Schiffbrüchiger zu einem Wunderland geworden.

Nachdem er sich erholt hatte, machte er sich auf der Insel durch vielfache Betätigung nützlich und beliebt. Er unterrichtet die Kinder, pflegt den Wein–, Obst– und Gemüsebau und verlobt sich mit Sophie, der bildschönen Tochter eines der Stammväter, die bisher — weil sie schon 32jährig — die Bewerbungen von 4 Jünglingen, die alle mehr als 12 Jahre jünger sind als sie — abgewiesen hat. Der Altvater hat den Kapitän ausersehen, ihm seinen Lieblingswunsch zu erfüllen, nach Europa zu reisen, die weitverzweigte Sippe der Juliusse aufzusuchen und zu beglücken. Ein Schiff wird ausgerüstet. Er durfte an Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen aus dem unermeßlichen Schatze soviel mitnehmen, wie er nur unterbringen konnte, ließ es aber bei 30 Stücken Goldes, jedes 10 Pfund schwer, 50000 Taler in gemünztem Golde und ½ Tonne an Perlen bewenden, — was die aufgehäuften Schätze kaum verminderte —, alles sorgfältig in mit Rosinen gefüllten Körben verpackt,

Seite 14
Am 2. Oktober 1724

geht das Schiff unter Segel; günstiger Wind, schnelle Fahrt. Bei St. Helena trifft er mit Engländern und Holländern zusammen, und landet am 10. Februar 1725 in Amsterdam. Er kauft ein Schiff zur Rückreise nach Felsenburg, übergibt es dem klugen Wilhelm Horn zur Ausrüstung.

Er selbst fährt nach dem Geburtsorte Eberhard Julius' im Brandenburgischen, kommt dort am 6. Mai an und erfährt zu seinem Schrecken, daß der Großkaufmann Julius, nachdem er ohne sein Verschulden bankrott war, sich nach Ostindien eingeschifft habe. Er erfährt, daß ein Sohn vorhanden ist, der in Leipzig studiere.

Es ist spät geworden. Hier unterbricht der Kapitän seine Erzählung und tritt mit Eberhard Julius in seine Kabine: "Merket Ihr, daß dieses irdische Paradies das Land ist, in dem Euer Ahne als souveräner Fürst regiert?" Andern Tags landen sie auf St. Helena und tanken Trinkwasser. Die dortigen Engländer waren sehr geschäftstüchtig; sie ließen sich alles horrend bezahlen. Am 12. November 1725 kommen sie in Sichtweite der gesuchten Insel und geben 3 Kanonenschüsse ab; von dort wird in gleicher Weise geantwortet. Sie landen. Kapitän Leonhard Wolfgang übergibt das Schiff dem Leutnant Horn, verabschiedet sich und geht mit 14 Leuten an Land; er ist 45 Jahre alt, alle anderen zwischen 23 und 35; der jüngste, Eberhard Julius, ist 20 Jahre alt. 2 Tage und 2 Nächte dauert das Ausladen der mitgebrachten Sachen.

Auf der Insel findet Eberhard Julius die Angaben des Kapitäns bestätigt.

Auf der Felsenburg

Hinter einem steilen Felsen und einer tiefen Höhlenschlucht ist ein herrliches, fruchtbares Land. Das Buch bringt jetzt eine Zeichnung: "Grundriß der Anno 1646 von Albert Julio entdeckten Insel Felsenburg, nach Vermögen gezeichnet von Monsieur Eberhard Julio 1726." Der Altvater lebt noch! Er ist ein ehrwürdiger Greis. Ein "veriabler" weißer Bart wallt ihm bis zum Gürtel herab. Neben ihm stehen 5 auch sehr alte Greise und viele gutgekleidete Männer, Frauen und Kinder. Ein großer Teil der Insel ist zu einem riesigen Garten gestaltet. Der 1. Teil umfaßt mehr als 100 Sorten reichtragender Bäume; der 2. Teil hat fruchtbare Weinberge, der 3. herrliche Blumen und der 4. allerlei Küchenkräuter und Gemüse. Der Kapitän hat 4 junge Pferde, 6 Stück Rindvieh, 6 Schweine, 6 Schafe, 2 Ziegenböcke, 4 Ziegen, 4 Esel, mehr als 20 Hühner, viele Gänse, Enten und Tauben, 4 Hunde, 4 Katzen und 3 Paar Kaninchen mitgebracht. Am Felsen waren Winden angebracht, die alles schnell und leicht vom tiefliegenden Strande über die steil ragenden Felsen ins Wohngebiet transportieren. Auf 2 Rollwagen, mit zahmgemachten Affen und Hirschen bespannt, wurden die Kisten an Ort und Stelle gebracht. Die Bibeln, Gesang– und Gebetsbücher werden verteilt und am anderen Morgen hält der Prediger Schmeltzer seinen 1. Gottesdienst auf der Insel. Eine Bibel, mit schwarzem Sammet eingebunden, reich mit Silber beschlagen und mit Goldschnitt versehen, erhält der Altvater. Der Gottesdienst fand auf einem mit Bäumen umpflanzten grünen Platze statt. Der Altvater zeigte darauf einen schönen freien Platz und verkündete, daß er hier eine Kirche erbauen lassen will. Die Ältesten und Vorsteher der 9 Stämme gelobten, sofort mit den Vorarbeiten zu beginnen. Schon am anderen Tage wurden Zeichnungen angefertigt, Baumaterialien herangeschafft und Altvater Albertus Julius grub eigenhändig ein Loch und legte den Grundstein hinein.

9 Stämme bevölkern nun die einst leere Insel. Für die etwa 300 Bewohner sind ausreichende Wohn– und Feuerstätten, geräumige Scheunen

Seite 15

und Ställe gebaut. Der Altvater führt mit den Neuankömmlingen eine Besichtigung der Insel durch, mit dem Erfolge, daß sie aus dem Staunen nicht herauskommen. Sein Wagen ist mit 4 Hirschen bespannt. Der erste Wohnort "Albertsraum" mit dem "Abertsschloß" umfaßte 21 Feuerstätten, geräumige Wohnhäuser, Scheunen, Ställe und Gärten.

Auf allseitigen Wunsch erzählt der Altvater Albertus Julius
seine Lebensgeschichte

"l628 von Maria Elisabeth Schlüterin zur Welt gebohren. Mein Vater, Stephanus Julius, war der unglückseligste Staats–Bedienstete eines gewissen Prinzen in Teutschland. Er gerät im Kriege in Gefangenschaft, wird verklagt, den Respect gegen die Potentaten verletzt zu haben, und es wird ihm der Kopf ganz heimlicher und destomehr ganz unschuldiger Weise vor die Füße gelegt." Seine beiden Kinder sind 6 und 4 Jahre alt. In dieser bösen Kriegszeit plündern Feinde das Haus aus: die Mutter stirbt vor Angst und Kummer. Die beiden Vollwaisen — Albertus nunmehr 10 Jahre alt — gehen mit dem Bettelsack betteln. Zerrissen, zerlumpt und verlaust dauert das 1 ½ Jahre. Da nimmt sie eine mitleidige Pfarrfrau in der Nähe von Naumburg in ihr Haus auf. Der fromme Pastor lobt seine Frau dieserhalb und erzieht beide gemeinsam mit seinen 3 eigenen Kindern. Die 2 Jahre, die Albertus bei bester Erziehung mit eifrigem Lernen im Pfarrhause verbrachte, sind ihm von großem Nutzen gewesen. Ein zu Besuch im Pfarrhause weilender Amtmann aus dem Braunschweigischen gewinnt Freude und Wohlgefallen an Albert und nimmt ihn mit. So verlebt Albert in der Amtmannsfamilie zwei schöne, nutzbringende Jahre. Da stirbt die Hausfrau, die Mutterstelle an ihm vertreten hat. Die neue junge Stiefmutter bringt Zank und Streit in die Familie, und weil Albert eines Tages ungewollt Zeuge ihres Liebesverhältnisses mit dem neuen Informator wurde, verfolgt sie ihn mit einem unbändigen Haß. Als der Amtmann das ehebrecherische Paar in flagranti überrascht, wird sie zur Furie und will Albert töten. Der Amtmann schützt ihn. Albert flieht in mitternächtlicher Stunde, hat seine Hose mit der des Praeceptors verwechselt. Er findet darin 6 Silberthaler und einen Beutel mit 30 Dukaten. In Braunschweig kleidet er sich neu ein und fährt fluchtartig mit der "Geschwindepost" nach Bremen. Er hat Geld und schätzt sich reicher damit als den großen "Mogol". Er ist nun 17 Jahre alt und hat in diesem schrecklichen Kriege einen Ekel vor dem Soldatenleben. Er trifft mit 4 jungen Leuten zusammen, anscheinend Studenten, die sich recht nett benahmen. Er trinkt mit ihnen, bis er total betrunken und bewußtlos ist. Völlig ausgeplündert erwacht er. Seine Beschwerde beim Wirt weist dieser brüsk ab. Da tritt ein vornehmer und reicher junger Mann hinzu und nimmt ihn als Schreiber und Reisebegleiter mit, obwohl er schon 4 "Bediente" hatte. Die Reise geht 1646 über Antwerpen nach England. Sein Herr — van Leuven — ist der jüngste Sohn eines reichen Edelmannes. Und nun muß Albert auf Befehl seines Herrn eine Maskerade betreiben, deren Sinn und Zweck er zunächst nicht erfährt. Er muß im Hotel "Castell von Antwerpen" zu London als Ehefrau des jungen Herrn van Leuven verkleidet erscheinen. Was hatte die Comödie zu bedeuten?

Van Leuvens Geliebte hieß Conkordia Plüß. Die beiderseitigen Eltern waren gegen die Heirat. Van Leuvens Vater wollte seinen Sohn zwingen, sich mit einem adligen Fräulein zu verloben. Die Verlobte war zwar sehr vornehm und reich, aber sehr häßlich, so daß van Leuven schwor, die Conkordia nicht zu verlassen. Er wollte den etwas kränklichen Vater nicht zu Tode erzürnen, blieb aber in heimlicher Verbindung mit Conkordia und verabredete mit ihr die gemeinsame, abenteuerliche Flucht.

Seite 16

Als der alte Herr van Leuven, der vertrauensselig geworden war, den Sohn nochmals nach London schickt, trifft der Sohn heimlich mit Conkordia zusammen und läßt sich unter Zeugen heimlich mit ihr trauen. Conkordias Eltern hatten eine große Gesellschaft zur Verlobung ihrer Tochter mit einem jungen, reichen Kaufmann geladen. Sie erwarteten Conkordia, die heute von einer kurzen Reise mit ihrem Bruder zurückkehren und mit ihrer Verlobung überrascht werden sollte. Sie waren aufs höchste erfreut, als van Leuven erscheint und ihnen seine schöne, junge Frau vorstellt, mit der er sich vor kurzem vermählt habe, da seine Eltern eine Verbindung mit Conkordia ja auch nicht wünschten. In Wirklichkeit aber hatte er mit ihr die gemeinsame Flucht vereinbart und so auf geschickte Weise den Verdacht von sich abgelenkt. Er reitet schleunigst nach "Douvre" und fährt mit dem Schiff nach Calais. Dort besteigt er ein Schiff, das zur Fahrt nach Ostindien bereitsteht. Auf dem Schiff warten "sein geliebter Schatz Conkordia nebst ihrem Bruder" auf ihn. "Ich bin als Diener gern mitgefahren. Sie unternahmen diese abenteuerliche Flucht nach Ostindien, um dort bei einem Vetter, der Gouverneur auf einer ostindischen Insel war, Unterschlupf zu finden (vermutlich Insel Ceylon).

Der Altherr Albertus Julius muß seine Erzählung unterbrechen, da es Nacht geworden ist. Am anderen Tage besichtigen sie die Wohnhäuser der 300 Einwohner, insbesondere den Davids–Raum.

Am Abend erzählt der Altvater weiter: "Plötzlich erhob sich ein fürchterlicher Orkan, der 3 volle Tage andauerte. Wir glaubten, daß das der Untergang der Welt wäre. Das Schiff zerschellte an einer felsigen Insel. Mit Schiffstrümmern werden wir zu selb 4t ans Land geworfen. Es sind der Kapitän Lemelie, Herr van Leuven, Conkordia und ich. Gerettet!

Aber, was wird werden? Kaum konnten wir uns von diesem Schrecken erholen. Conkordia verfiel in ein schlimmes Fieber, an dem sie tagelang krank lag. Die Wogen warfen neben vielen Schiffstrümmern Kisten und Ballen ans Land; trotzdem gerieten wir durch Hunger in größte Not. Aber immer wieder hat der treue Gott uns geholfen. Wir konnten einige Meerkälber (Seelöwen?) und eine große Schildkröte erlegen. In einer Felsenschlucht hatten wir Schutz vor dem immer noch tobenden Unwetter gefunden. Endlich beruhigte sich die Natur; es wird gutes Wetter. Van Leuven und ich erstiegen den steilen Felsen und erblicken ein Paradies: Herrliche, zum Teil blühende Bäume, vielerlei Wildbret, Hirsche, Rehe, Affen, Ziegen und andere Tiere in reicher Zahl. Viele Weinstöcke, fruchttragende Bäume, klare Bäche.

Was hier mit wenigen Worten gesagt ist, wurde in bangen Wochen voller Angst, Sorge, Not und — Hoffnung erlebt.

Wieder ist es Nacht geworden, der Altvater unterbricht seine Erzählung. Am anderen Tage wird die Besichtigung der Felseninsel fortgesetzt. Sie bewundern den Stephanusraum mit seinen 15 Wohnhäusern, das "Saltz–Gebirge", die Steinsaltz–Lache, wo das Wasser durch aufgelöstes Saltz zur Sole geworden ist.

Der Altvater zeigte uns einen kleinen Bach, der kristallklares Wasser führte und sich mitten durch die mehr als 500 m langen Gärten schlängelte. Er kam aus einem Erzgebirge und brachte zu gewissen Zeiten viele kleine Goldkörnchen mit, die fleißig gesammelt wurden, weil sie allerliebst aussahen. Dann konnten sie schon die am Kirchbau begonnenen Arbeiten bestaunen: Es war bereits der Grund ausgehoben und Stein, Kalk und Lehm in ziemlicher Menge herbeigeschafft.

Seite 17

Der Altvater erzählt weiter: "Ich schoß 5 Rebhühner und ein junges Reh; so hatten wir keinen Hunger mehr zu befürchten. Wir kehrten zurück zu Conkordia, die sich langsam erholte, wozu die Freude über unsere Errettung wesentlich beitrug. Conkordia, van Leuven und ich knieten nieder und dankten im innigen Gebet unserem Herrgott für die wunderbare Rettung. Am anderen Tage erstiegen wir alle 4 den Hügel und fanden alles herrlich und wundersam. Unbeschreiblich war die Freude aller beim Anblick dieses Paradieses. Auch fanden sie Anzeichen dafür, daß sich ehemals vernünftige Wesen hier aufgehalten hatten. Zum Beispiel Scherben von zerbrochenen Gefäßen lagen umher und anderes. Der Kapitän rief aus: "Hier möchte ich ewig bleiben, es fehlen nur 2 Weiber, aber da wir allein hier sind, könnten wir uns ja zu dreien in eines teilen." Conkordia schreit auf, van Leuven weist es empört zurück, und auch ich bezeugte meinen Unwillen gegen Lemelie. Wir bestimmten die Höhle zum Aufenthalts– und Schlafraum für das Ehepaar und bauten eine Schlafstätte für uns 2 Männer.

Beim Lustwandel gegen Abend stürzt Albertus Julius in einen etwa 4 Ellen tiefen Graben. Er war so mit Gras und Gesträuch überwachsen, daß er nicht zu sehen war. Er führte zum Eingang einer finsteren Höhle, die in den Felsen hineingearbeitet war. Er erzählte Herrn van Leuven von der Höhle, die ihm aber sehr unheimlich vorkam. Herr van Leuven sagte: Wir haben alles auf unserer Insel, was wir benötigen, wollen darum nicht weiter forschen, vielleicht sind giftige Schlangen darin. Wir wollen die Höhle zuschütten, damit uns kein Unglück trifft. In der Nacht, als Albertus schlaflos liegt, erscheint ihm ein uralter Mann und sagt:
Verwegener Jüngling, Du sollst meine Wohnung nicht verschütten, die ich mit viel Mühe mir erbaut. Der Himmel hat Dich zu besonderem auserkoren. Du wirst nach zwei Unglücken hohe Glückseligkeit erlangen, wenn Du dann Deinem Schlafgesellen für sein sündiges Leben den gerechten Lohn gegeben hast. Zum Zeichen, daß er nicht geträumt, drückt der Alte ihm so heftig die Hand, daß sie blutete. Bei dem großen Schmerz schrie Albertus Julius laut auf. Lemelie erwacht; aber Albertus Julius sagt ihm nur, daß er schwer geträumt habe.

Am anderen Tage besichtigen die 3 Männer die Höhle, finden einen großen Vorrat an Hausgerät aus Kupfer, Zinn und Eisenwerk. Mit einem Schrei fällt Lemelie in Ohnmacht, denn in einer Seitenkammer sitzt auf einem in Stein gehauenen Sessel ein uralter Mensch. Auf einem Tische lagen 2 kleine und 1 größere Tafel mit Inschriften. Am anderen Tage findet er in einer höhlenartigen Schlucht ein Gerippe und 3 erzene Tafeln, worauf mit lateinischer Schrift eingeschnitten ist: "Du bist bestimmt, mich hier zu begraben." Als er das Gerippe anfaßt, zerfällt es. Sie legen es in ein Leinentuch und unter Gebeten begraben er und van Leuven es, Lemelie beteiligt sich nicht, er durchsuchte die Insel nach Schätzen. Wir fanden: In einem steinernen Sessel war der Sitz tief ausgemeißelt und durch einen steinernen Deckel verschlossen. Darin befanden sich ein goldner Becher mit vielen Kleinoden und 18 Hüte voll Goldmünzen. Ferner viele Briefschaften. Sie enthielten die Lebensgeschichte eines spanischen Edelmannes. Er war 1475 geboren, war 1514 als Schiffbrüchiger auf die einsame Felseninsel verschlagen und hatte dort noch 92 Jahre bis zu seinem Tode als Einsiedler zugebracht. So war er 131 Jahre alt geworden, hatte weder Krankheit noch Schmerzen kennengelernt. Bis zum letzten Tage seines Lebens hatte er niedergeschrieben, daß er den Tod erwarte. Die beiden Männer legen die Briefschaften und die vielen Goldschätze wieder in den Sessel zurück. In einem Gewölbe fanden sie 3 Schaffel kostbarster Perlen und unermeßliche Goldschätze und — worüber sie noch in größere Freude versetzt wurden — viele nützliche Dinge, die für sie von unschätzbarem Werte waren.

Seite 18

Der Altvater machte eine Pause, überreichte dem Prediger Schmeltzer die Schriften zum Vorlesen und die Tafeln. Er beauftragte mich, alles Lateinische in die deutsche Sprache zu übersetzen. Sie enthielten die Lebensgeschichte des spanischen Edelmannes Don Cyrillo Valaro.

"Geschichte des Don Cyrillo de Valaro"

Der ist 1475 im "Feldlager" geboren; denn sein Vater ist spanischer Oberst; er und seine Mutter entstammen dem spanischen Hochadel. Sein Vater, hochbegütert, fällt im Kampf gegen die Mauren. Cyrillo wird als Page der Königin am Hofe erzogen, zeichnet sich durch Tapferkeit und Edelmut aus, heiratet eine bildschöne Edeldame aus höchsten Kreisen. Als sie des Ehebruchs und unglaublicher Unsittlichkeit überführt wird, erhängt sie sich. Ihre Verwandten veranlassen den König, Cyrillo der hl. Inquisition zu überantworten. Cyrillo flieht nach Portugal, fühlt sich auch dort nicht sicher, will zu Schiff nach dem von den Portugiesen entdeckten Brasilien. Wunderliche Fata der Seefahrer: kommen an Inseln, die von Indianern bewohnt sind; dort geplündert, gemordet (er unbeteiligt). Zuletzt mit einigen Indianern auf die Insel Felsenburg verschlagen; vorher Orkane, Erdbeben! Ungeheure Schätze an Gold, Edelsteinen, Perlen gesammelt. Er schreibt seine Lebensgeschichte, die von Affen gestohlen und zerrissen wird. Haut in den Felsen eine Wohnung. Kameraden sterben, schreibt aufs neue und erwartet den Tod, und bittet den, der seine Leiche findet, ihn zu begraben, damit die Affen nicht Unfug mit seiner Leiche treiben." — Als Albertus Julius und van Leuven die Leiche hinaustragen wollen, zerfällt sie in Asche. Sie graben ein Grab und sammeln in einem Leinentuche die Überreste und bestatten sie. —

Auf einem Zettel finden sie: "Ich bin geboren am 9. August 1475, auf diese Insel gekommen 1514. Ich fühle, daß ich bald sterben muß, ungeachtet ich weder Krankheit noch Schmerzen empfinde. Dieses habe ich geschrieben am 27. Junius 1606. — Ich lebe noch: 28., 29., 30. Junius und noch den 1. Julius, 2., 3., 4. — "Er lebte also 92 Jahre auf der Insel, davon 49 Jahre allein.

Wir durchstreifen die Insel nach allen Richtungen und brachten "viel Jagdbeute zu unserem Unterhalte in die Höhle". Lemelie hatte sich ganz von uns abgesondert. Eine Zeitlang schien es, als hätte er seine unsittlichen Begierden überwunden, dann aber traten sie um so mächtiger und unverhüllter hervor. Er machte, wenn die Männer jagen gingen und er allein mit Conkordia war, ihr unsittliche Anträge. Sie war aufs tödlichste beleidigt und sagte, daß sie lieber sterben wolle und auch ihn töten würde, ehe sie ihrem Manne untreu werden würde. Da kommt eines Tages van Leuven vom Jagen nicht zurück. 3 Tage haben sie ihn vergeblich gesucht. Endlich, am 3. Tage, finden sie ihn unterm Felsabhang zerschmettert am Boden. Anscheinend ist er abgestürzt. Groß ist der Schmerz bei Albertus, um so mehr, als er Conkordia in ihrem herzzerreißenden Jammer kaum zu trösten vermag. Lemelie aber verfolgt sie von Stund an und wird gewalttätig, roh und brutal. Am 3. Tage müsse er sie haben. In der 3. Nacht überfällt er sie in ihrer Kammer. Auf ihre Hilferufe eilt Albertus herbei. Er erhält von Lemelie furchtbare Schläge auf den Kopf; blutüberströmt wehrt er sich mit dem Seitengewehr, in das Lemelie in rasender Wut hineinrennt, so daß er ganz durchbohrt wurde. In seiner Todesstunde enthüllt er sein ganzes verbrecherisches Leben: Mit 17 Jahren notzüchtigte er seine Schwester, lebt 3 Jahre mit ihr in Blutschande, tötet die beiden mit ihr erzeugten Kinder. Als seine Eltern seine entsetzlichen Taten bemerkten, vergiftete er sie. Als er sich in eine Hure verliebt und seine Schwester abschieben will, tötet diese sich und ihr 3. Kind. Er flieht nach England, hat dort 19 Personen vergiftet

Seite 19

und gesteht endlich, daß er van Leuven vom Felsen heruntergestürzt hat, um dessen Frau zu gewinnen. Nun sind Conkordia und Albertus allein auf der einsamen Insel. Er angelt, fischt und jagt, schafft also Nahrung herbei. Sie näht und kocht und umhegt ihn. Sie legen einen Garten an, säen und ernten Getreide. Sie dressieren sich Affen, von denen die Insel wimmelt, als Haustiere, ebenso einige junge Hirsche. Es kam, wie es gar nicht anders kommen konnte. Albertus liebt die Conkordia. Aber seine Gottesfurcht und seine hohe Sittlichkeit hindern ihn daran, ihr seine Liebe zu gestehen. Sie bemerkt wohl, daß er sich in Liebessehnsucht verzehrt. Der sonst fröhliche Jüngling ist stiller, einsamer und zurückhaltender geworden. Schon sind 1 Jahr und 2 Monate nach dem Tode ihres Mannes vergangen. Sie hat Albertus als einen frommen, edlen und rechtschaffenen Menschen kennengelernt. Da schreibt sie ihm an seinem Geburtstage einen Brief — sie wollte es ihm nicht persönlich sagen — und bietet ihm die Ehe an. Er ist hocherfreut. Sie setzen die Hochzeit, die sie in aller Form wie in ihrer Heimat feiern wollen, auf den 14. Tag fest. Er besorgt Wildbret: Reh, Rebhühner, Obst. Sie bäckt Kuchen und schmückt das Zimmer. Auf dem selbstgezimmerten Tisch steht ein Kruzifix und die Bibel ist aufgeschlagen. Er liest einen Psalm und sie singen fromme Lieder. 3 Nächte bringen sie im Gebet zu. Erst dann wird sie die Seine.

Die im Jahre 1929 von Ernst Schnackenberg verfaßte Ausgabe der "Insel Felsenburg" (wohl die letzte bisher), bringt hier eine andere Darstellung: In dem Briefe, den sie ihm am Vortag seines Geburtstages schreibt, heißt es nach Schnackenberg: "Es steht daher ganz in Eurem Gefallen, ob wir sogleich morgen, an Eurem Geburtstage uns in Gottes und der hl. Engel erbetener Gegenwart selbst zusammentrauen und hinfort einander als christliche Eheleute beiwohnen wollen." — "Als an diesem Tage die Zeit zum Schlafengehen herangekommen war (opferte ich meiner neuen Ehegattin die ganze Kraft meiner Jugend), fand ich in ihren liebevollen Umarmungen ein Vergnügen, dessen unvergleichliche Vollkommenheit ich mir nie zuvor hatte vorstellen können."

Und nun verbringen sie frohe Jahre gemeinsamen Schaffens. Von gekenterten Schiffen sind viele Fässer und Kisten angeschwemmt mit Kaffee, Tee, Schokolade, Gewürzen, Zucker, Salz, Pech, Schwefel, Oel, Talg, Butter, Pulver, mit zinnernen und kupfernen Schüsseln, Tellern, Töpfen und Eimern. Dann gebar Conkordia ein Paar Zwillingssöhne, die sie Albertus und Stephanus nannten. Auch ein Mädchen hat sie geboren, Christine genannt. Bei der nächsten Schwangerschaft stürzt sie unglücklich; es kommt zur Frühgebort eines toten Kindes. Die Mutter erholt sich schnell, bekam aber fortan keine Kinder mehr. Sie blieb aber jugendschön; mit 35 Jahren war sie schön wie ein 18 jähriges Mädchen.

Am anderen Tage zeigt ihnen der Altvater einen großen Platz, den er zum Begräbnisplatz ausersehen hat. Er führt sie zuerst an die Gedächtnissäule für Don Cyrillo de Valaro. Einige Schritte weiter stand eine aus Steinen aufgeführte Pyramide, deren Inschrift zeigt, daß darunter die Asche seiner Ehefrau Conkordia bestattet sei. Daneben stand das Grabmahl des ermordeten van Leuven.

Der Altvater erzählt weiter:

Die Insel Felsenburg bevölkert sich

Eines Abends genießen Albertus und Conkordia nicht weit vom Ufer den Abendfrieden. Da sehen sie, wie 2 Schiffbrüchige sich mühsam auf einem Balken festklammern. Albertus schwimmt schleunigst hinaus. Es gelingt ihm, beide nacheinander an den Strand zu bringen. Sie sind völlig

Seite 20

erschöpft, fast tot vor Hunger, treiben nach dem Untergang ihres Schiffes schon 4 Tage und Nächte auf dem Meere. Es sind 2 Engländer, ein etwas älterer Mann, Amias Hülter, und ein Mann in den besten Jahren, Robert Hülter. Amias hatte seinerzeit von Conkordias Flucht mit van Leuven gehört. Robert und die jugendliche Conkordia entflammen in Liebe und bitten ihre Eltern um Genehmigung zur Vermählung. Albertus vertritt den Priester; so wird die Eheschließung regelrecht wie daheim vollzogen. Fortan nimmt Robert den Stammnamen Julius an. Für das junge Ehepaar wird in gemeinschaftlicher Arbeit ein Wohnhaus gebaut. —

Ein Schiff ist auf eine Sandbank gefahren. Hohe Wellen zertrümmern es. 2 Männer winken nach dem Strande. Albertus hatte schon lange ein Boot gebaut, mit dem er zum gestrandeten Schiff fährt. Dort sind noch 9, zumeist schwer an "Schaarbock" erkrankte Menschen an Bord. Sie werden alle an Land gebracht und bestens verpflegt; aber einige sterben an dieser schweren Seekrankheit.

Drei von den 1668 geretteten Schiffbrüchigen waren bei der Landung Leonhard Wolfgangs nebst Eberhard Julius und anderen auf der Insel Felsenburg noch am Leben. Der Altvater veranlaßte sie, ihre Lebensgeschichte selbst zu erzählen.

Als erste erzählt

Judith von Mandess (nunmehr 80 Jahre alt):

Aus sehr reichem und vornehmem Hause stammend, wird sie mit ihrer Schwester von ihrem verkommenen Bruder und seinen Saufkumpanen auf ein Schiff gelockt und entführt. Wunderliche Erlebnisse, Ueberfälle durch Seeräuber, ihre Ehre durch Messerverteidigung bewahrt. Zuletzt auf Felsenburg gerettet.

Der Kapitän erzählt seine Erlebnisse weiter:

Leonhard Wolfgang

trifft auf einem Spaziergang Magister Schmelzer, der erzählt, daß er 1716 – 1720 im Hause Julius Hauslehrer war. So wird der Aufenthalt des Stud. Eberhard Julius ausfindig gemacht. Schmelzer erhält die Priesterweihe, erklärt sich bereit, nach der Insel Felsenburg mitzukommen. Eberhard Julius wird nach Amsterdam gebeten, wohin Leonhard Wolfgang zurückkehrt. Das weitere ist von Seite 7 berichtet. Auf der "Felseninsel" angekommen, nahm der Priester Schmelzer die eheliche Verbindung der Verlobten Leonhard Wolfgang und Sophie nach dem Gottesdienste am nächsten Sonntag vor.

Unter den gefundenen Schriften befindet sich auch

die Lebensbeschreibung der Virgilia van Cattmas

Sie nennt sich selbst "die Unglückselige", da sie von Jugend auf vom Unglück verfolgt ist. Ihr Vater, ein großer "Rechtsgelehrter und Anwalt der Armen", wird auf der Straße ermordet aufgefunden. Die Mutter stirbt vor Kummer. Die 14jährige Virgilia kommt zu Verwandten. Die Pflegemutter verteilt sofort Virgilias reichen Hausrat und ihre kostbaren Schätze an ihre 3 häßlichen Töchter. Mutter und Töchter führen mit Virgilias Erbteil, 18 000 Thalern, ein geiles und verprasserisches Leben. Virgilia muß Magddienste tun, wird von den 4 Furien täglich geschlagen und darf das Haus nicht verlassen. Ein edler Freund macht Virgilia brieflich einen Heiratsantrag, den die Pflegemutter findet — und bald wird der Freund vergiftet aufgefunden. Da kehrt der Sohn der Pflegemutter,

Seite 21

Ambrosius van Keelen, aus Indien zurück. Er sieht das schreckliche Verhalten seiner Mutter und seiner 3 Schwestern, macht ihnen ernstliche Vorhaltungen und will sie vor Gericht bringen. Er muß aber schleunigst nach Spanien reisen, weil die Spanier ein holländisches Schiff beschlagnahmt haben, auf dem sich auch Waren von ihm befanden im "Werte von 20 000 Thalern. Er hinterläßt für Virgilia Verpflegung und l 000 Dukaten. Nun bricht die Hölle über Virgilia herein. Die 4 Furien überfallen sie nachts, schlagen sie blutig, reißen ihr die Haare aus und treten sie gegen den Unterleib, so daß sie schwer krank darniederliegt. Da bringt die Pflegemutter eine Kindesleiche in einer Schachtel, die mit einem Tuch Virgilias umwickelt ist, zum Gericht. Virgilia wird verhaftet und des Kindesmordes angeklagt. Sie beteuert ihre Unschuld, da sie völlig unberührt ist. Die Wehmutter und der Arzt sagen aus Angst vor der vornehmen Pflegemutter nicht aus. Da will man die Tortur anwenden. In ihrer furchtbaren Angst und Not sagt sie zu, um der schrecklichen Folterung zu entgehen. Da kehrt Ambrosius zurück und rettet sie vor Tortur und Feuertod. Die Hausmagd sagt vor Gericht aus, daß die Kindesleiche das 3. Kind war, das die Töchter geboren und getötet haben. Die Mutter und die 2 ältesten Töchter werden hingerichtet, die jüngste kommt ins Zuchthaus. Ambrosius heiratet Virgilia, aber er stirbt mit 39 Jahren. Nach 2jähriger Witwenschaft heiratet sie den Compagnon des großen Geschäftsunternehmens. Als sein Vater auf Kap der Guten Hoffnung stirbt, fahren sie mit dem Schiff hin, werden von Seeräubern überfallen, diese werden zwar besiegt, aber ihr Mann ist im Kampf gefallen. Das Schiff bringt sie später zur Insel Felsenburg.


Als die anderen Kinder des Albertus und der Conkordia heranwuchsen, sollten sie vor Blutschande bewahrt werden. Sie bauten ein Schiff und fuhren zu einer entfernten Insel, von der sie wußten, daß sich dort Portugiesen angesiedelt hatten. Der weitaus größte Teil von denen, die sich nun verheirateten, blieb auf der Insel Felsenburg oder kam zu ihr. So entwickelte sich ein reiches Leben. Der Pfarrer hatte viele Trauungen zu vollziehen. Vom 1. Advent 1725 bis dato 1726 wurden auf der Insel Felsenburg geboren: 50 Kinder, confirmiert 13, verheiratet 25 Paare, begraben 2. Es wohnten damals auf der Insel 203 Männer und 191 Weibspersonen, "die in aller Frömmigkeit, Liebe und Einigkeit miteinander lebten."

Johann Gottfried Schnabel erzählt hier, romanhaft ausgestaltet, sein eigenes Leben unter dem Namen Joh. Ferd. Kramer:

Johann Ferinand Kramer erzählt, daß er von Geburt ein Westfale sei und das Licht der Welt 1699 erblickt habe. "Mein Vater und meine Mutter waren redliche Leute und etwas mehr als bürgerlichen Standes, starben aber beide, ehe ich noch das 10. Kindesjahr überschritten hatte." — Es ist möglich, daß Joh. Gottfried Schnabel sowohl über sein Heimatland, seinen Geburtsort als auch über sein Geburtsdatum unzutreffende Angaben machte, da er sich — wie bereits erwähnt — verbergen mußte. Aus Johann Ferdinand Kramers Lebensgeschichte erfahren wir, daß er ein fröhlicher Bub gewesen, der zu losen Streichen aufgelegt und später selbst gern davon erzählet. So hat er der Katze nachts die große Schelle umgehängt, daß sie "die ganze Nacht ein grausam Gelerme" gemacht und alle fürchteten die bösen Gespenster. Am anderen Tage aber wurde mir mein "Hinter–Castel" ohne mir Defensia zuzulassen, dermaßen mit Ruthen gestrichen, daß ich in etlichen Tagen keine Bank damit drücken konnte. Ein andermal fand er einen "Tobacks–Brief" (Plakat), worauf gedruckt stand: "Wer mich wird versuchen und proben, wird mich rühmen und

Seite 22

loben." Er beschmierte die Rückseite mit Vogelleim und legt es auf den Lehnstuhl der faulen Magd. Als sie aufstand, war die Inschrift an ihrer Wölbung gut zu lesen. Sie merkt es nicht, geht auf den Markt und erregt dort ein groß Gelächter." Folge: Am anderen Tage schlägt ihm der Vetter den Arm kaputt. —

Die Muhme hatte einen mittelmäßigen Hund, dem sie mehr Pflege, Sorgfalt und Liebe entgegenbrachte als ihrem Neffen Johann Gottfried. Der Hund war verzärtelt und dadurch faul geworden. Er hatte einen eigenen Stuhl, auf dem er sich räkelte und grausam brummte, wenn unser Johann Gottfried es sich auf diesem Stuhl einmal bequem machen wollte. So bestand zwischen beiden ein recht gespanntes und wenig freundschaftliches Verhältnis. Insgeheim befestigte Johann Gottfried in den Sitz von unten her Nadeln, daß die Spitzen etwas hervorragten, die den Menschen infolge seiner Kleidung nicht stachen, wohl aber unseren Pudel, der ja aller 4 Wochen nach Löwenart geschoren wurde. So konnte Johann Gottfried mit großem Pläsier darauf sitzen, während der Hund jedesmal, wenn er daraufsprang, ein erbärmliches Gequaule loßließ. — Endlich kam sein neuer Streich ans Licht und "meine artige Intervention wurde mit dem Ochsenziemer dermaßen rekompensiert, daß ich mich fast in 14 Tagen nicht recht bewegen konnte. Ich wurde von dem erbosten Vetter und der Muhme, die sich wie eine Furie gebärdete, in eine andere Stadt zu fremden, aber Gott sei Dank, verständigen Leuten gebracht."

"Dort war eine berühmte Schule, die ich fleißig besuchte und in der ich begierig lernte, so daß ich mich in kurzem vor den anderen, auch älteren Schülern distinguierte und bei 14. Jahre unter den obersten Primanern war." Auch dort hat er manche lustige Streiche verübt, die aber von den Praeceptores zumeist nicht als Bosheit angerechnet, nur mit starkem Verweise oder gelinder Strafe belegt wurden. Doch einmal sollte es Ernst werden. Für den Rektor und seinen Stellvertreter hatte er höchste Achtung, nicht aber vor dem Kantor. Der war ein eitler Herr, der sich gern den Anschein eines hochgelehrten Herrn gab und sich seiner Gelehrsamkeit in der griechischen Sprache, Kunst und Geschichte brüstete, obwohl es gerade darin nicht zum Besten mit ihm bestellt war. Die 3 hohen Herrn des Lehrerkollegiums teilten sich gemeinsam in den Ertrag des zur Schule gehörigen Obstgartens. Es war den Schülern selbstverständlich streng verboten, den Garten zu betreten. Nach einem Unterrichtsvormittag steht Johann Gottfried einmal im Kreuzgang, als sich der Kantor unbemerkt heranschleicht und ihn fragt, was er spintisierte?! Johann Gottfried antwortet auf griechisch: "Hochgelehrter Herr Praeceptor! Ich bitte um die Erlaubnis, einen Sack voll Äpfel aus dem Garten zu holen." Der Kantor gab sich den Anschein, alles verstanden zu haben, obwohl das nicht der Fall war. Er sagte: "Es ist erlaubt." Johann Gottfried pflückt jetzt in aller Öffentlichkeit einen Sack voll der schönsten Äpfel und verteilt sie freigebig an seine Mitschüler. Vors Schulgericht gestellt, erklärt er, daß ihm der hochgelehrte Herr Kantor auf seine Bitte die Erlaubnis erteilt habe. So lächelten insgeheim die Lehrer über diesen Streich; aber er zog sich die völlige Ungnade des Kantors zu, der — wie nun erwiesen — ein schwacher "Graecus" war. Seine Zeugnisse über seinen Fleiß und seine Kenntnisse waren des Lobes voll; darüber ärgerten sich Muhme und Vetter, deren 3 Söhne auf keiner Schule mit fortkamen. Da meldete der Vetter ihn kurzerhand von der Schule ab, mit der Begründung, sein Vermögen wäre fast alle; er soll eine "reputierliche Profession" lernen, damit der Rest seines Vermögens gespart werden kann. Er kommt zuerst zum Vetter selbst, muß dort die schlechtesten Arbeiten verrichten — wie er selbst sagt, den "Hauspüffel" machen. Da reißt er aus, kommt zuerst zu einem Kaufmann, dann zu einem Goldschmied in die Lehre. Überall

Seite 23

wird er von einer Ecke in die andere und von einer schlechten Arbeit zur anderen gestoßen, weil der Vetter Lehrgeld nicht zahlt. Schließlich landet er in einer Apotheke, wo er vom frühen Morgen bis zum späten Abend in den Kellern und Lägern bei eisigster Kälte wiederum die schlechtesten Arbeiten verrichten muß. Er erfriert Hände und Füße und läuft davon. Durch Büttel eingefangen, kommt er in das Haus des Vetters zurück. Er wird gefangen gehalten, hat dauernden Hausarrest" und wird mit Hunger, Kälte und Schlägen über die Maßen traktiert." Der kaltherzige Vormund und die Muhme, "die mir so feind als einer Spinne war", fürchteten schließlich Böses von ihm und geben ihn zu einem Barbier und Chirurgen. Sie hatten gedroht, ihn in ein "Zuchthaus" zu bringen; gemeint ist wohl eine Zwangserziehung. Gegenüber der Drangsalierung bei der Muhme ist es beim Barbier wesentlich besser. Bei seinem Wissensdrang und Lerneifer interessiert ihn besonders das Wissen und Können des Chirurgen — er findet schließlich Gefallen an der Chirurgie und legt guten Grund zum Anatomisieren. Er kann jedoch seine Possen nicht lassen. Er mußte des öfteren Kohlen von besonderer Art holen, die zur Herstellung von Medikamenten benötigt wurden. Als er eines Tages in ein befreundetes Haus geht und den vollen Kohleneimer in einem Hausflur beiseite stellt, stehlen ihm die Mägde die Kohlen, mehr aus Übermut und Scherz, als aus Geldgier; denn sie verschenken die Kohlen an arme Witwen. Er muß neue Kohlen holen und aus eigner Tasche bezahlen; das wurmt ihn, da er ja sparsam bis zum Geiz ist. Er sinnt auf "Revanche" und vollführt einen tollen Streich. Beim nächsten Kohlenkauf höhlt er einige Kohlen aus, setzt kleine "Schwärmer" mit geriebenem Schießpulver hinein und verschließt sie wieder. Nun tut er so, als stolpert er, verliert einige Kohlen, die von den Mägden schnell gesammelt werden. Er läuft schnell in ein bekanntes Haus und lauscht auf das, was kommen sollte und kam. Plötzlich hat das Pulver Feuer gefangen. Es sprudelt, knallt, kracht und man hört ein verzweifeltes Schreien und Lärmen. Obwohl ein Schaden nicht angerichtet wurde, kam die Sache vor seinen Herrn und der "künstliche Feuerwerker" erhielt seinen verdienten Lohn; denn sein Herr hat ihm — wie er schreibt — "zum ersten und letzten Male mit dem Spanischen Rohre und zwar wohlverdienten Maßen höllisch traktiert."

Nach einigen Lehrjahren ergreift er den Wanderstab. Er hat von dem guten Wein am Rhein, am Neckar und an der Mosel viel Rühmens gehört. Daher treibt es ihn dorthin, mit 10 Thaler Geld, die der Vetter ihm mitgibt und mit der nötigen Equipierung wohl ausgerüstet, zieht er an den herrlichen Rhein. Diese 10 Thaler sollen der Rest seines einst so ansehnlichen Vermögens sein; er rechnet sich aber aus, daß der Vetter noch an die 800 – 900 Thaler davon haben muß. Er hatte aber als Chirurgus viele Patienten gut behandelt, so daß ihm manche Thaler zugesteckt wurden, die er gespart, so daß er mehr als 50 Thaler im "Säckel" hatte. Die Reise zu Fuß war ihm zu beschwerlich und "desprestierlich", so daß er die Postkutsche benutzte und in lustiger Gesellschaft keine Gelegenheit vorübergehen ließ, die köstlichen deutschen Weine zu probieren. Dadurch schwindet aber sein Geld erschreckend schnell, so daß bald statt der Thaler nur noch einige Groschen im Säckel waren. Da wendet er sich stolz zu Fuße der Saale zu. Er gelangt in ein kleines Residenzstädtchen, kann aber bei keinem Chirurgen annehmbare Unterkunft finden. So wandert er bald weiter und gelangt in eine Universitätsstadt. Seine Kenntnisse befähigen ihn, bei einem Hofchirurgen Anstellung zu finden. Er befleißigt sich einer gesitteten Lebenshaltung, damit er an der Universität studieren kann, wobei er seine Kenntnisse ganz wesentlich erweitert. Eines Nachts, da er heftig dem Weine zugesprochen, gerät er mit einem Kommilitonen in Streit. Sie ziehen den Degen. Er verwundet seinen Gegner so stark, daß der zwar nicht in Lebensgefahr schwebte, aber doch lange Zeit

Seite 24

darniederlag. Man will unserem Chirurgus den Prozeß machen. Durch eine treue Geliebte — mit losen Dirnen und leichtsinnigen vornehmen Weibsleuten gab er sich nicht ab — wurde er gewarnt und floh vor seiner drohenden Verhaftung. Unterwegs wird er von einem Trupp Soldaten umringt und gezwungen, die Montur anzulegen und Soldat zu werden. Das rohe Soldatenleben widersprach seinem Gefühl; er war tief unglücklich. Zudem kam, daß sein Vetter, der Sohn seines Vormunds, Korporal bei derselben Truppe war und ihn erbärmlich drangsalierte. So erhielt er von ihm einst so heftige Schläge auf den Kopf und in das Gesicht, daß das Blut spritzte. Johann Gottfried zieht seinen Degen und schlägt dem Korporal die rechte Hand ab, daß sie nur noch an einer Sehne baumelte. Er wird dem Profoßen übergeben. Das Gericht verurteilt ihn. "Er muß 3 Tage hintereinander je 12mal Spießruthen laufen." Das bedeutet sicheren, qualvollen Tod; denn erst vor einigen Tagen war ein Soldat diesen qualvollen Tod gestorben. Es bleibt ihm keine Wahl! Er muß fliehen, obwohl es bei strengster Bewachung völlig aussichtslos erschien.

Es gab eine Stelle im Festungshof, die wenig bewacht wurde, weil jenseits der hohen Mauer sich eine tiefe Schlucht befand. Dort gelang ihm — wider alles Erwarten — die Flucht. Die ganze Nacht ist er völlig atemlos durch Wald und Schluchten gehetzt und hört in der Frühe Trompetengeschmetter und Glockenläuten, die verkünden, daß ein Deserteur entflohen ist. Da hört er Rossegetrappel in der Ferne und weiß, daß die Häscher nahe sind. Er kann sich in einer hohlen Weide verstecken. Ein Schäferjunge zieht mit seiner Herde vorüber, ohne ihn zu bemerken. Da sprengen Reiter heran und fragen den Jungen, ob er einen Soldaten gesehen habe, der eine Uniform wie die ihre trägt. Der Junge verneint und sie stoben davon. Lange ist der Chirurg zitternd in seinem Versteck. Der Hunger treibt ihn heraus. Es ist schon dunkel, da trifft er auf das Haus des Schäfers. Der versteckt und verpflegt ihn und weist ihm in dunkler Nacht den Weg zur nahen Grenze. So ist er gerettet. Vermutlich hat er in dieser höchsten Not das Lager des kaiserlichen Heeres aufgesucht und sich anwerben lassen, so daß er unter Prinz Eugen als Feldscher 1710 — 1712 am spanischen Erbfolgekrieg teilnahm.

III. Teil
Titelseite:

"Wunderliche Fata einiger Seefahrer, fortgesetzte Geschichtsbeschreibung Alberti Julii, seines im Jahre 1730 erfolgten Todes und seiner auf der Insel Felsenburg (allwo er in seinem 103. Lebensjahre beerdigt worden) im vollkommenen Stand gebrachten Colonien, entwurffen und ausgefertigt von des Bruder–Sohnes–Sohnes–Sohne."

Mons. Eberhard Julio,

in Druck gesetzet von

Gisandern.

Vorrede:

Geneigter Leser! Ich überreiche Dir den 3. und letzten Teil.

Eberhard Julius ist in Hamburg und begibt sich auf die Rückreise zur Insel Felsenburg; die Reisegesellschaft bestand aus 12 Personen, darunter "Mein Herr Vater, meine liebe Schwester und 2 Sklaven, welche mir der Kapitän Horn mitgegeben hatte.

Bei der Besichtigung der Insel sahen sie ein in den Felsen gehauenes

Seite 25

großes Creutze, worein eine zinnerne Platte gefügt war, die folgende Zeilen zu lesen gab:

"Auf dieser unglückseligen Stelle ist im Jahre Christi 1646 am 11. November der fromme Carl Franz van Leuven von dem gottlosen Schand–Buben Lemelie meuchelmörderischer Weise zum Felsen hinabgestürzt und elendiglich zerschmettert worden. Doch seine Seele wird ohne Zweifel bei Gott in Gnaden seyn."

Im 3. Band sind in epischer Breite die Lebens–Geschichte Herrn Magister Schmeltzers, Monsieur Litzbergs, Joh. Ferdinand Crahmers, Mons. Plagers, des Tischlers Lademann, des Müllers Krätzer, des Drechslers Herrlich, des Posamentierers Hankert und anderer aufgezeichnet, entsprechend des Tituls "Wunderliche Fata einiger Seefahrer".

Aus der Lebensgeschichte des Mechanikers Plager

Er ist Augsburger, sein Vater war Goldschmied, der durch Fleiß, Sparsamkeit, Kunstfertigkeit und nicht zuletzt durch eine "glückliche Heirat" zu Wohlstand und Ansehen gelangt war. Der Bruder seiner Frau kehrt von einer Weltreise zurück und gaukelt ihm vor, daß er durch Forschungen und fromme Gebete, durch Gottes Gnade dem "Stein der Weisen" in handgreifliche Nähe gelangt ist und damit in der Lage wäre, Gold zu machen, alle Krankheiten jeglicher Art durch Wunderkraft zu heilen und ewige Jugend zu behalten. Der Vater ließ sich betören, gibt seinen schönen Beruf auf, der ihm doch jährlich einen schönen Gewinn brachte. Er experimentiert, vergeudet damit sein großes erspartes Kapital. Da gelingt den beiden, eine Metallmischung zu produzieren, die dem Gold im Aussehen und Gewicht sehr ähnlich war. Sie legen eine Falschmünzerwerkstatt an und prägen mehr als 65 000 Thaler. Die Polizei kommt hinter ihr "Geheimnis"; während Plager noch rechtzeitig flüchten kann, endet sein Schwager auf dem Scheiterhaufen. — Wie tief in den Hirnen und Herzen der Fürsten, der Gelehrten und des einfachen Volkes der Glaube an den Stein der Weisen verwurzelt war, zeigt die weitere Lebensgeschichte des Mons. Plager und seines Sohnes. Der Sohn war Zeuge gewesen, wie durch den Versuch, Gold zu machen, sein Vater aus einem glückhaften Leben ins tiefste Elend geraten war. Durch das Einatmen giftiger Gase beim Experimentieren zog sich sein Vater die Schwindsucht zu und starb frühzeitig eines elenden Todes. Trotzdem verfällt er — wie er auf der Insel Felsenburg im Kreise der Bewohner erzählt — selbst in schlimmster Weise der Sucht, den Stein der Weisen zu finden, von dem in der Bibel bei Hiob im 28. Kap. Vers 3 die Rede sei. Zweimal verliert er durch die Betrügereien solcher "gottbegnadeter Heiliger", die alles unter dem Deckmantel "frommer Gottesfürchtigkeit im Namen der heiligen Dreifaltigkeit" taten, all sein Hab und Gut und wird zum elendsten Bettler. Trotzdem läßt er sich zum 3. Male durch solche Schwindler betören. Er wurde im besten Glauben an ihre Redlichkeit und Frömmigkeit zu ihrem "Handlanger" und wußte lange nichts von ihren Betrügereien. Sie prellten eine vornehme Engländerin um 50 000 Thaler bar und 30 000 Thaler Wechselbriefe. Als er ihre Betrügereien merkte, meldete er es der Betrogenen und entging so zum 2. Male dem Galgen, während einer gehenkt wurde. Dem anderen gelang die Flucht und es glückte ihm, an einem hohen Fürstenhofe weiterhin zu laborieren.

Unseren Mechanikus Plager führte ein günstiges Geschick nach Amsterdam, wo er mit dem Kapitän Leonhard Wolfgang bekannt wurde und mit diesem auf der "glückhaften Felseninsel" landete.

Seite 26

Der 3. Band enthält ein Gedicht:

"Wir Felsenburger sind
die Reichsten auf der Welt,
das macht, wir lassen uns begnügen,
mit dem, was unser Feld,
Wald, Fluß und See zur Notdurft reicht.

Hier weht kein leichter Wollust–Wind.
Hier kann so leicht kein eitler Wahn betrügen.
Hier wird die schwerste Arbeit leicht.
Hier ist ein irdisch Paradies.
Hier schmeckt, was andern bitter scheint, recht zuckersüß.

Hier wird der Name Freund,
mit Ernst und Wahrheit ausgesprochen.
Hier ist "ja" = "ja" und "nein" ist "nein"!
Hier ist durch falschen Schein
kein zugesagtes Wort gebrochen.
Hier hört man nichts von Grenz– und andern Streite,
denn kurz gesagt: "Wir sind vergnügte Leute!"

Aus Peter Morgenthals Lebensgeschichte ist lesenswert:

Sein Vater war Zimmermann, verunglückt auf dem Bau, hinterläßt Witwe mit 2 Kindern. Mutter muß mit 9jährigem Peter und seinem 6jährigen Bruder betteln gehen. Sie singen vor den Häusern. Um ihr Elend zu erleichtern, heiratete die 33jährige einen abgedankten Soldaten, der seines abgeschossenen Beines wegen zu Pferde im Lande herumbettelte. "Mutter erzeigte ihrem neuen, wiewohl sehr wunderlichen und jähzornigen Mann alle gehorsame Ehrfurcht und starke eheliche Liebe; aber wenig kindliche Liebe gegen uns, dessen die täglichen Schläge ein sattsames Zeugniß abstatteten, zumahlen, wenn wir armen Knaben des Abends nicht genügsam Pfennige, Brod und andre Viktualien einbrachten. Wir mußten besondere Streifen tun und abends in der Bettelherberge abgeben. Die verfluchte Schind–Mähre, nemlich das Pferd unseres Stiefvaters, verfraß fast mehr, als wir semtlich erbetteln konnten. Und dennoch ließ der Hochmut unseres Stiefvaters nicht zu, selbiges zu verkaufen. Endlich aber, da der Klapperstorch bei unsrer Mutter einkehren wollte und sie fast nicht mehr fort konnte, blieben wir ohnweit Zörbig, in einem Dorfe, Radegast genannt, liegen, allwo der Stiefvater sein Pferd an einen Bauern vor 11 Thaler verkaufte, sich in ein Bauernhaus einmietete und nebst meiner Mutter das Korbmacher–Handwerk anfing." Die Taufe des Kindes machte Schwierigkeiten, da der Trauschein — den es vermutlich gar nicht gab — nicht zu finden war. Wenn er bis 6 Wochen nicht zur Stelle wäre, sollten wir uns aus dem Dorfe packen. Die Mutter geht nach Weihnachten mit dem Säugling auf die Reise, will bald zurück sein, wenn sie den Trauschein hat. Der Vater packt alles auf 1 Karren und wandert los. Wir Kinder waren allein, hatten an Vorrat: 4 Brode, etwas Butter, ½ Schock Käse, einige Möhren und Rüben — und warteten. Da brach in unserer Stube Feuer aus. Die Einwohner liefen herbei: "Werft die Mordbrenner ins Feuer; laßt die Bettel–Bagage verbrennen!" Peter, der älteste, rettet sich, läuft barfuß bei Schnee und Eis in die Stadt (Zörbig).

Seite 27

Die Reise von Amsterdam nach der Insel Felsenburg

am 27. November 1729

Mons. van Blank erzählt seine Lebensgeschichte:

Auf einer Seereise, die er als kenntnisreicher Dolmetscher mitmachte, wird das Schiff von Seeräubern überfallen. Er wird als Sklave an den Kaiser Muley Ismaels von Marokko verkauft. Der Kaiser will an seinem Hofe keinen christlichen Sklaven haben. Er befiehlt, daß van Blank zum mohammedanischen Glauben übertritt und sich beschneiden läßt. Da er sich weigert und lieber sterben will, als seinem christlichen Glauben untreu werden, soll er getötet werden. Da erhält er heimlich durch einen Sklaven einen Brief. Eine von den 4 Lieblingsfrauen des Kaisers hat ihn geschrieben. Es ist eine Landsmännin, die auch Sklavin wurde und zu den l 000 Konkubinen des Kaisers gehörte. Sie wurde aber zur Lieblingsfrau erhoben. Eines Tages lag das Schnupftuch des Kaisers auf ihrem Tisch; das bedeutet, den Befehl, daß sie nächste Nacht beim Kaiser schlafen muß. Sie ist sehr unglücklich, möchte sterben. Eine Konkubine, Französin, will sie gegen eine hohe Geldsumme vertreten, was nur dadurch möglich war, daß die Konkubinen verhüllten Hauptes zum Kaiser geführt wurden und das Schlafzimmer des Kaisers nachts durch keine Lampe erhellt war. Der Betrug gelang, so rettete sie ihre Ehre. — Sie schickt dem Sklaven van Blank Geld und flieht mit ihm. Sie hieß Sophie von Bredel. Ein Jude versteckt beide 6 Wochen in seinem Hause. Erst als die Nachforschungen eingestellt waren, bringt er beide auf ein englisches Schiff, nachdem sie durch eine Tinktur im Gesicht entstellt waren. Sie kommen zuerst nach Gibraltar und schließlich nach England. Ihre Eltern sind bereits gestorben und ihr Mann hatte sich mit seiner Geliebten verheiratet, "da man ihm nicht zumuten könne, daß er eine von heydnischen Barbaren geschändete Frau wieder in seine Behausung nehme."

Auf der Insel Felsenburg landen schließlich 20 Personen und 9 Sklaven. Die letzteren treten sämtlich zum christlichen Glauben über; sie erlangen ihre Freiheit, heyraten und werden vollwertige Bürger auf der Insel Felsenburg. Der Prediger hatte 14 Hochzeiten durchzuführen und die Insel bevölkert sich mehr und mehr.

Dort war bereits eine Kirche gebaut; der Turm hatte 4 Glocken, zumeist aus Silber, so hatten sie einen hellen, schönen Klang. Die Orgel hatte 16 Register. Bei einer Besichtigung kamen sie an van Leuvens Gedächtnissäule. Plötzlich rief van Blank aus: "O, welch ein Schicksal!" und erzählte, daß seine Mutter eine geborene van Leuven war, so daß der hier Begrabene ein Verwandter von ihm sei. Der Altvater war gestorben, man hatte ihm ein Mausoleum gebaut.

Auf der kleinen Nebeninsel "Klein–Felsenburg" fand man tief im Sande eine Urne mit Asche und Gold gefüllt. Die Spuren, daß die Insel vor Jahrtausenden von Menschen bewohnt gewesen sein müßte, mehrten sich: Eine in Stein gehauene Treppe führte zu einer Bergkuppe, auf der ein riesiger Tempel in den Felsen gehauen war. Im Tempel fanden sie Götzenbilder in den Felsen gehauen, unsagbare Schätze an Gold und Edelgestein; viele Totenschädel und Menschenknochen.

Kapitän Horns Lebensgeschichte

Hieraus ist bemerkenswert:

Sein Vater war Revierförster. Der junge, schöne Hilfsförster buhlt mit der jungen Frau seines Vorgesetzten. Als die beiden vom Revierförster in flagranti überrascht werden, schlägt er blindwütend auf seine Frau ein

Seite 28

und verwundet sie so stark, daß sie nach wenigen Stunden verblutet. Dem fliehenden Hilfsförster schoß er eine Kugel nach, die den jungen Menschen sofort tötete. Der Förster floh und war von seinem Aufenthalte nichts zu erfahren. Die beiden Toten wurden auf besondere "Landesherrliche Begnadigung" an der Seite des Gottesackers im nächsten Dorfe begraben.

Kapitän Horn erzählt: Wir Kinder waren nun verarmt; denn die Regierung nahm einen großen Teil unseres Erbteils für die entstandenen Kosten in Beschlag. Ein reicher Herr nahm Gefallen an mir, dem erst 12jährigen, und nahm mich mit auf Reisen. Er erprobte, ohne daß ich dessen bewußt wurde, meine Ehrlichkeit, Verschwiegenheit und Treue. Ich machte den Liebesboten. Der Herr war unverheiratet; durch mich schickte er Briefe und Pakete an eine junge, schöne Witwe und stattet ihr öfters Visite ab, jedoch entweder des Nachts oder wenn es sonst nicht leicht jemand gewahr werden konnte. Es kommt zu einem bösen Streit zwischen beiden, so daß mein Herr zu einem Freunde aufs Land reiste. In Abwesenheit des Hausherrn küsset und kokettiert er die junge Hausfrau nach Herzenslust. Ein auf Besuch weilender Offizier, der bisher der bevorzugte Liebhaber der Frau war, führt beleidigende, anzügliche Reden gegen seinen Nebenbuhler. Dadurch kommt der zurückgekehrte Hausherr zur Kenntnis der tollen Liebschaften seiner Ehefrau. Beide, der Offizier und der Hausherr, fordern meinen Herrn zum Duell, was diesen aber in seiner Gleichgültigkeit nicht im geringsten beeindruckt. Durch einen Herzschuß tötet er den Offizier, durch einen Degenstoß den Grafen. Unbekümmert reitet er nach Paris. Dort hat er eine Liebschaft mit einer Marquise, von der er sagt, "daß ihre Caressen extra– ordinair–delikat sind". Mit seinen "ohngemein unzähligen Liebschaften in Paris und anderen französischen Städten, sowie bei seinem 3jährigen Aufenthalte in Italien, stellt er einen Casanova in den Schatten." Von sich selbst erzählt Horn, daß er eine Liebschaft mit einer 16jährigen hatte. Aber sie hatte den Schalk im Nacken; denn bei nach außen gezeigter keuscher Zurückhaltung war sie — ohngeachtet ihrer Jugend — redlich bemüht, sich im verbotenen Liebesspiel zu exerzieren." Er kehrt vorzeitig von einer Reise zurück und trifft sie in inniger Umarmung mit einem jungen Fant, wobei sie sich rühmen, nun schon 3.halb Jahre der Liebe zu pflegen und sich über den Monsieur Horn lustig machen. —

Zum Schluß berichtet das Buch, daß Kapitän Horn die Insel Felsenburg glücklich erreichte und eine geraume Zeit dort verweilte. Im Januar 1734 soll er nach Europa zurückfahren und folgendes mitbringen:

  1. Eine Druckerei mit den dazugehörigen Personen und Sachen, zum Beispiel Drucker, Gießer, Formschneider.
  2. Medikamente.
  3. Tuche aller Art.
  4. Pferde, Rinder, Schafe.
  5. Einen Gelehrten, der die Geheimschriften entziffern kann.

Sein Schiff fährt am 7. Januar ab, reich beladen mit Rosinen, Reis, Zucker, Insel–Früchten u. a.

Die portugiesischen Matrosen wurden in ihrer Heimat abgelohnt. Sie erhalten jeder 6 Monturen, viel weiße Wäsche und außer ihrem reichlichen Lohn jeder 3 Pfund gediegenes Gold;

bekundet von Eberhard Julius.

Seite 29

Fata einiger Seefahrer:

Geschichte des Tischlers Lademann

Er erzählt: Ich bin in einem Dorfe in der Nähe Altenburgs geboren. Mein Vater hatte zwar ein kleines Haus nebst etlichen Äckern, überließ aber die Wirtschaft meiner Mutter und verdiente sich seinen Unterhalt hier und da mit der Geige, Schalmei, und besonders mit dem "Hackebrett" und wurde unter noch 6 Dorfmusikanten der sogenannte Oberste. Er nahm mich schon frühzeitig mit auf Hochzeiten und andere Aufwartungen, wo ich wider meinen Willen die Bratsche spielen mußte. Meine Schulstunden wurden arg vernachlässigt, weil ich mein Zeit auf das Hackebrett, auf die Schalmei und Geige verwenden mußte. So sah ich dann schon in meinem 12. Jahre einem musikalischen Pfuscher so ähnlich, wie ein Ei dem andern. Zudem kaufte ich den "Liederträgern" die vornehmsten Lieder ab, lernte dieselben auf das beweglichste singen, auf dem Hackebrett selbst dazu spielen und verdiente also, zumal, wenn der Vater den Baß dazu brummte, manchen schönen Groschen besonders, welches Geld ich aber meistenteils dem Schulmeister zuwendete, der mich die Noten und das Orgelspielen lehren mußte. Abends saßen wir — mein Vater und ich — in den Schänken, wo ich viele Schandlieder singen mußte. Das kam vor den Pfarrherrn, der meinem Vater einen "starken Verweis" gab, daß er mich in allem ärgerlichen Leben erzöge. Mir aber drohte er mit der Ausschließung vom Beichtstuhl und hl. Abendmahle — welches ich in meinem 14. Lebensjahre zum l. Male empfangen sollte — sofern ich nicht von solchen Schandpossen ablassen würde. Der Pfarrer sorgte dafür, daß ich auch nicht mehr zum Stadtpfeifer in die Lehre gehen durfte, und besorgte mir eine Lehrstelle bei einem Tischler, dem er die Hälfte meines Lehrgeldes zahlte.

Mein Meister, welcher der vornehmste Tischler in der berühmten Residenz eines römisch–kathol. Bischofs war, schickte mich in das Haus eines vornehmen und sehr reichen Mannes, um in dessen Wohnstube das morsche Täfelwerk abzureißen. In der Ecke war das aus Holz geschnitzte Bild des hl. Bonifatius angenagelt. Als ich es abnehmen wollte, brach mir der wurmstichige Heilige unter den Händen entzwei und schüttelte aus seinem ausgehöhlten Leibe eine große Menge Goldstücke über meinen Kopf. Ich sammelte die auf dem Fußboden verstreuten in meine Mütze. Es waren 632 Stück Kremnitzer Dukaten. Als der Hausherr hereintrat, sagte ich ihm: "Mein Herr, es wird Euch bewußt sein, daß die Lutheraner, zu denen ich mich bekenne, nicht glauben, daß die verstorbenen Heiligen den noch lebenden Menschen einige Wohltaten erweisen können. Allein, Euer heiliger Bonifatius hat mich heute eines andern überzeugt. Dem ungeachtet ich so unglücklich gewesen, seinen von Würmern zerfressenen Körper zu zerbrechen, so hat er mir dennoch dies Geschenk, Euch als dem Hausherrn zu überreichen, anvertraut. Er sagte, verzichtet ein klein wenig, ich muß doch dies Heiligtum meiner Frau zeigen. Ich wartete länger als eine Stunde auf seine Rückkunft und war der Hoffnung, er würde mir etliche Dukaten als Trinkgeld einhändigen. Allein, statt dessen kam die Wache und führte mich in Verhaft. Am andern Morgen wurde ich in Ketten gelegt und vor das geistliche Gericht geführt, wo mich der Hausherr nicht nur eines mutmaßlichen Diebstahls, sondern auch der Lästerung Gottes und seiner Heiligen angeklagt hatte.

Nach dem Verhör wurde ich "hart geschlossen" und wieder in den Turm geführt. Als mein Meister erfuhr, was mir widerfahren, sprach er beim Bischof vor. Nach Verlauf zweier Tage und Nächte wurde ich von den Ketten befreit und in den bischöflichen Palast vor den Bischof selbst geführt. Mein Meister war auch zugegen; aber auch mein Ankläger, der

Seite 30

meine Mütze mit den 632 Dukaten in seinen Händen hatte. Der Bischof fuhr mich zornig an: "Bist Du der frevelhafte Ketzer, welcher das wundertätige Bild des hl. Bonifacius boshafter Weise zerbrochen und überdies schimpflich von demselben gesprochen hat?" "Hochwürdigster, gnädigster Herr", gab ich zur Antwort, "ich rufe denjenigen Gott, den sowohl die lutherischen als auch die römisch–katholischen Christen anbeten, zum Zeugen, daß ich dies Heiligenbild nicht boshafter Weise zerbrochen, sondern da es gar sehr wurmstichig, ist es mir unter den Händen entzweigegangen, und zwar vermutlich nicht ohne göttliche Fügung, damit der darin verborgene Schatz dem Hausherrn zugute kommen sollte. Mein Gewissen hat mich angetrieben, es dem Hausherrn abzuliefern; ich hoffte und wartete auf eine ihm beliebige Erkenntlichkeit, doch meine Redlichkeit ist mir übel belohnt worden." Da sagte der Hausherr: "Hochwürdigster, dieser Kerl ist ein Schelm, wie alle Ketzer sind. Man lasse ihn auf die Folter bringen, so wird er nicht allein gestehen, daß er das hl. Bild, welches ich höher als eine Tonne Goldes geschätzt und dem ich täglich hundert Küsse gegeben, mutwilligerweise zerbrochen, sondern auch mir daraus mehr als 1300 Dukaten entwendet hat. Denn da mein seliger Großvater auf dem Totenbett lag, seine Erben aber beim Vermissen von 2000 Stück Kremnitzer Dukaten ihn befragten, wo er dieselben hingelegt habe — wies er beständig mit dem Finger auf den hl. Bonifacius; denn er konnte infolge eines Schlagflusses kein Wort mehr herausbringen. Nach seinem Tode haben wir rund um den Bonifacius alles abgesucht, aber nichts gefunden, bis dieser diebische Ketzer es entdeckt und mehr als die Hälfte davon genommen hat." — "Gerechter Himmel!" rief ich aus, ist wohl möglich, daß in einer so kleinen Höhlung soviel Dukaten Raum haben?" Der Bischof besah sich genau das Bild, ließ in die Höhlung die 632 Dukaten vorsichtig hineinlegen. Es war noch ein wenig Raum da, genau für 13 Dukaten. Da sagte er: "Ihr seid ein unersättlicher Geizhals und wolltet dem ehrlichen Finder keinen Lohn geben. Ich spreche zu rechtens: Der Schatz wird in 3 Teile geteilt, der l. gehört dem hl. Bonifacius, der den Schatz in den gefährlichen Kriegsläuften vor Räubern, Dieben, vor Wasser, Feuer und anderem über Jahrhunderte bewahrt hat. Der 2. gehört dem Hauswirt, der 3. dem ehrlichen Finder, der zwar ein Ketzer ist, aber man soll Treue und Redlichkeit auch beim Feinde belohnen. Es ist billig, dem hl. Bonifacius einen Altar zu errichten, wozu Ihr (zum Hauswirt) Eueren Teil benutzen werdet, während Ihr, junger Freund, hierzu 50 Dukaten opfern werdet." — Bei der Orgelreparatur einer Klosterkirche lernten unser Lademann und ein anderer Tischlergeselle 2 bildschöne Nonnen kennen, die sie aus dem Kloster unter größten Gefahren befreien. Während sein Arbeitskamerad seine befreite Nonne heiratet, bringt ein Zerwürfnis unsern Lademann und seine Geliebte auseinander.

Auf der Suche nach guter Arbeit trifft auch Lademann auf den Kapitän Leonhard Wolfgang, der ihn zur Reise nach "Ostindien" überredet und auf der Insel Felsenburg zu einem glücklichen Leben verhilft.

Der Drechsler Herrlich, geb. 1693, so armer Eltern Kind, daß er selbst das Schuldgeld für die Armenschule nicht aufbringen konnte und mit 14 Jahren noch keinen Buchstaben kannte. Er bittet den Rektor der höheren Schule, ihm die Buchstaben zu zeigen; damit glaubte er, lesen zu können. Der Rektor fördert ihn, ließ ihn die Schule besuchen. Er lernte schnell lesen, begriff aber die lateinische Sprache nicht, zeigte dagegen eine erstaunliche Kunstfertigkeit im Holzschnitzen. Der Rektor verschafft ihm eine gute Lehrstelle bei einem Drechsler. Nachdem er nach seiner Lehrzeit noch ein Jahr bei seinem Meister geblieben, begibt er sich auf die Wanderschaft und leistet Erstaunliches im Holz– und

Seite 31

Elfenbein–, ja selbst im Metallschnitzen. Als er nach mehr als einem Jahrzehnt in die Heimat zurückkehrt, war die Mutter schon einige Jahre tot und der Vater starb nach wenigen Monaten. Der Sohn erzählt: "Nur mit vieler Mühe erhielt ich die Erlaubnis, ihm auf dem Hospitalkirchhofe eine Gedächtnistafel zu errichten, die ich mit eigner Hand, so kunstreich wie mir möglich war, verfertigte. Nachdem ich sie aufgestellt hatte, geschah ein großes Gerede. Ich wurde vor den Oberpfarrer gerufen, der mir sagte, daß mein Vater wohl ein frommer Christ, aber doch ein armer Tagelöhner gewesen sei, so daß ihm ein solch prächtiges Denkmal nicht zukommt. Da es so kostbar sei, gäbe es zu allerhand Verdächtigungen Anlaß. Ich erwiderte, daß ich damit weder prunken noch prahlen wolle, sondern ich habe aus kindlicher Dankbarkeit und Ehrfurcht gehandelt. Das Denkmal hat wenig Kostenaufwand gemacht; ich habe an Farben und Gold nur etwa 20 Groschen aufgewendet und die Arbeit ja nicht gerechnet und außerdem habe ich 12 Taler an die Hospitalkirche gezahlt, daß ich die Erlaubnis zur Aufstellung bekam.

Am andern Tage erhält er vom Bürgermeister den Befehl, das väterliche Grabmahl binnen 24 Stunden abzunehmen, widrigenfalls er 10 Taler Strafe zu zahlen hätte und das Grabmahl gewaltsam heruntergerissen würde. Er wurde in einen Prozeß verwickelt, den er zwar gewann, der ihm aber die Feindschaft des Bürgermeisters und des Oberpfarrers zuzog. Die Gedächtnistafel enthielt keineswegs etwas Ungehöriges oder Unchristliches; im Gegenteil: Christus sagt zu einem knieenden Beter (welch letzterem er die Züge seines Vater gegeben hatte):

"Ei, Du frommer und getreuer Knecht, Du bist über Wenigen getreu gewesen, ich will Dich über viel setzen. Gehe ein zu Deines Herrn Freude."

Für Schnitzereien in der Stadtkirche zahlte man mir den Lohn nicht aus; ich mußte für denselben Lohn auch noch nach einem Kupferstich "Pharisäer und Zöllner" ein Bild über den Beichtstuhl schnitzen. Das verlangten der Oberpfarrer und der Kirchenvorsteher. "Ich muß offenherzig bekennen, daß ich unter dem Bilde des Pharisäers unseren Oberpfarrer und unter dem des Zöllners den Kirchenvorsteher so genau nach ihrer Gesichtsbildung abbildete, als ob sie leibten und lebten." Weil ein anderer Bildhauer beide Gesichter veränderte, hing man ihm diesmal keinen Prozeß an. Nach vielerlei Mißhelligkeiten wandert er aus und trifft in Amsterdam auf den Kapitän Leonhard Wolfgang, der ihn mit auf die Insel Felsenburg nimmt.

IV/21/1 Pt 129/65 200 (664)

Letzte Änderung: 15. November 2008

Zurück zur Abhandlung "Johann Gottfried Schnabel"